Erwachsenes Scheidungskind? Wie die Folgen verarbeiten?

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Bärchen
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Erwachsenes Scheidungskind? Wie die Folgen verarbeiten?

Beitrag von Bärchen »

Ich wage es nun auch mal einen Beitrag im Forum zu schreiben und etwas von mir zu erzählen.
Meine Eltern trennten sich als ich 11 war, seither habe ich keinen Kontakt mehr zu meiner Mutter und lebe mit meinem Bruder beim Vater. Mittlerweile bin ich 10 Jahre älter. Ich (und mein Umfeld) dachte ich hätte es geschafft darüber hinweg zu kommen. Weit gefehlt, das ganze hat zu viele Auswirkungen auf mein Leben, die mir erst jetzt richtig bewusst werden (vor allem seit der Trennung von meinem Freund).
Es ist nicht die Scheidung an sich bzw. dass es meine Eltern nicht mehr zusammen gibt. Auch meine Mutter vermisse ich nicht. Dass sich zwei Menschen trennen, die nicht mehr miteinander klarkommen kann ich verstehen. Ich frage nicht mehr nach dem „Warum“, es ist mir egal wer „Schuld“ daran ist etc. – es braucht immer zwei dazu.

Ich kann niemandem wirklich vertrauen, über meine Gefühle zu reden fällt mir schwer. Meine Probleme versuche ich alleine zu lösen. Dauernd habe ich Angst wieder etwas/jemanden zu verlieren. Dies nur einige Dinge, die mir auffallen seit ich mir wieder vermehrt Gedanken mache darüber. Ich habe einige Bücher angefangen zu lesen (u.a. Fassel: Ich war noch ein Kind, als meine Eltern sich trennten; und Wallerstein: Scheidungsfolgen – Die Kinder tragen die Last. Eine Langzeitstudie über 25 Jahre) und erkenne mich darin wieder. Es gibt eine Menge von Büchern über die Rolle der KINDER im Falle einer Scheidung, doch wo bin ich? Weder ein Kind, noch wirklich erwachsen (ich glaube ich habe einiges verpasst in meiner Kindheit, zudem bin ich noch immer abhängig von meinem Erzeuger (wegen Ausbildung)).

Auch vor der Scheidung hatte ich kein besonders gutes Verhältnis zu meinen Eltern, ich weiss nicht was in anderen Familien anders war. Ich spüre nur, dass es bei mir irgendwie nicht so war wie es hätte sein sollen.

Ich will und kann mich nicht mehr mit meiner Vergangenheit herumschlagen, es kostet zu viele Tränen und braucht zuviel Kraft, die ich nicht mehr aufbringen kann und die ich vor allem für anderes gebrauchen könnte (Studium).

Ich könnte noch lange schreiben, das Bild würde trotzdem nicht vollständig.
Ich hoffe ihr könnt mir ein wenig helfen (sei es hier im Forum oder auch über private Message), ich weiss nicht wie ich das ganze jemals verarbeiten soll.

Liebe Grüsse
Bärchen
Volker
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Re: Erwachsenes Scheidungskind? Wie die Folgen verarbeiten?

Beitrag von Volker »

Hallo Bärchen,

Herzlich Willkommen im Forum! Du hast bereits einen weiteren wichtigen Schritt getan, um weiterzukommen auf Deinem Weg. Es ist immer schwierig zu sagen, was gerade dran ist. Du sagst, mit der Vergangenheit herumschlagen kostet zuviele Tränen...
So wie ich die Dinge erfahren habe, war das Wichtigste für mich, immer weiter zukommen auf dem Weg mich so anzunehmen, wie ich bin. Da gehört es dann auch dazu, gerade kein kraft haben zu können und zu wissen, dass auch dieses durchaus in Ordnung ist. Wenn es viele Tränen braucht, möchte vielleicht etwas noch mehr betrauert werden. Es macht keinen Sinn etwas wegmachen zu wollen, was "da" ist. ich denke, der Umgang mit Gefühlen wird dadurch leichter, indem wir durch sie hindurch gehen. Dann können wir zunehmend entscheiden, wieviel Raum wir einem Gefühl geben wollen oder nicht. Dazu muss man sie jedoch erstmal gelebt haben. Dazu möchte ich Dich ermutigen.

Ich möchte Dir Gelassenheit vermitteln, sowohl was dein Verabeitungstempo angeht, als auch deine empfundene Abhängigkeit von deinem Vater. Du bist noch jung ud dass Dein Vater für Deine Ausbildung aufkommt, solltest Du nicht als Abhängigkeit begreifen. Du bist auf dem Weg und du wirst sicher auch bald auf eigenen Füssen stehen. mach Dir nicht soviel Streß, was das betrifft.

Lieben Gruß
Volker

Es ist unglaublich, wieviel Kraft die Seele dem Körper zu leihen vermag. (W. v. Humboldt)
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Re: Erwachsenes Scheidungskind? Wie die Folgen verarbeiten?

Beitrag von Ruheloser »

Hallo Bärchen,

Dir auch ein herzliches willkommen im Forum!

Ich kann die Ausage von Volker nur bestätigen. Er beschreibt genau das was ich unlängst durchmachte. Du siehst das Du da nicht alleine bist. Nach dem Warum, frage ich nicht mehr. Na ja, vielleicht ab und zu, aber ehr selten. Von mal zu mal seltener. Dann aber laße ich den Tränen freien Lauf. Dafür schähme ich mich nicht. Es sind eben Gefühle, dennen ich freien Lauf lasse. Sicher, besser man hätte sie nicht. Die Verursacher dieser Gefühle, die kann ich nur noch bedauern. Mein Hass ist weg, dieser zersört alles.

Ob wir alles verarbeiten werden , daß kann ich nicht sagen. Ich arbeite dran. Jeder auf seine Weise. Eine Zeit lang schrieb ich Tagebuch. Man kann auch sagen Frust-Buch ...
Mir half es.

Alles Liebe

Knut
Ein Traum ist unerläßlich, wenn man die Zukunft gestalten will
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Bärchen
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Re: Erwachsenes Scheidungskind? Wie die Folgen verarbeiten?

Beitrag von Bärchen »

Hallo Volker!
Danke für deine Antwort auf meinen Beitrag. Bin sehr froh, dass es dieses Forum gibt.
Volker postete
Wenn es viele Tränen braucht, möchte vielleicht etwas noch mehr betrauert werden. Es macht keinen Sinn etwas wegmachen zu wollen, was "da" ist. ich denke, der Umgang mit Gefühlen wird dadurch leichter, indem wir durch sie hindurch gehen. Dann können wir zunehmend entscheiden, wieviel Raum wir einem Gefühl geben wollen oder nicht. Dazu muss man sie jedoch erstmal gelebt haben. Dazu möchte ich Dich ermutigen.
Ich möchte ja meine Gefühle nicht einfach "wegmachen", ich möchte sie verarbeiten, ich will nicht mehr darunter leiden. Dass mich diese Scheidung und den Verlust meiner Mutter mein ganzes Leben begleiten wird ist klar. Es hat mich zu dem Menschen gemacht den ich heute bin und ich bin auch um einige Erfahrungen reicher geworden.
Die Auswirkungen betreffen jedoch alle Bereiche meines Lebens, nicht mal mit engsten Freunden kann ich über meine wirklichen Gefühle reden (aus Angst verletzt zu werden? Weil ich es nie gelernt habe? zu wenig Vertrauen?). Die Beziehung zu meinem Ex-Freund ging u.a. deswegen zu Bruch. Ich habe wieder einen wichtigen Menschen verloren...
Diese Fehler sollen in Zukunft nicht mehr geschehen. Ich will nicht die Fehler meiner Eltern wiederholen.

Wahrscheinlich habe ich alles vor 10 Jahren schon einmal versucht zu verdrängen, diesen Fehler will ich diesmal nicht mehr machen.
Ich habe das Gefühl mich im Kreis zu drehen, mich in einem tiefen schwarzen Loch zu befinden und nicht mehr rauf zu können - und keiner merkts. Diesen Teufelskreis möchte ich unterbrechen bevor ich noch tiefer falle.
Volker postete
Da gehört es dann auch dazu, gerade kein Kraft haben zu können und zu wissen, dass auch dieses durchaus in Ordnung ist.
Doch was ist wenn darunter meine Ausbildung leidet? Ich kann mich nicht mehr aufs lernen konzentrieren, obwohl meine Ausbildung im Moment das einzige ist was noch etwas "Struktur" in mein Leben bringt und ich eigentlich weiss, dass es das Richtige ist für mich.


Hat jemand hier im Forum Erfahrung mit psychologischer Hilfe? Was gibt es für Therapieformen? Wie läuft sowas ab? Wer finanziert das?
Ich weiss nicht ob ich den Mut dazu hätte und ob es das Richtige wäre für mich, doch ich weiss nicht mehr weiter...

Liebe Grüsse
Bärchen
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Bärchen
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Re: Erwachsenes Scheidungskind? Wie die Folgen verarbeiten?

Beitrag von Bärchen »

Hallo Knut
Es tut gut zu wissen, dass man nicht alleine ist.
Du schreibst "Die Verursacher dieser Gefühle, die kann ich nur noch bedauern. Mein Hass ist weg [...]."
Leider kann ich noch nicht mein eigenes Leben leben, ich bin noch abhängig von den Verursachern meiner Gefühle. Hass ist zwar keiner da, aber die Wunden bleiben trotzdem.

In den letzten Tagen habe ich sehr viel geschrieben, ich wollt wieder anfangen Tagebuch zu schreiben, doch ich habe Angst, dass es gelesen wird - von jemandem dem ich meine wirklichen Gefühle nicht anvertrauen kann. Leider wird meine Privatsphäre nicht respektiert...

Liebe Grüsse und alles Gute
Bärchen
Volker
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Re: Erwachsenes Scheidungskind? Wie die Folgen verarbeiten?

Beitrag von Volker »

Hallo Bärchen,

sicher ist das alles nicht so einfach umzusetzten wie es geschrieben wird. Du bist skeptisch, dich mit deinen wahren Gefühlen zu zeigen... Das ist vor Deinem Hintergrund sehr verständlich und ging mir auch mal genau so.
Es war für mich ein großes Glück, eine Therapeutin zu finden, die mich so angenommen hat, wie ich bin. Tatsächlich führt der Weg der Selbstannahme erst einmal über die Erfahrung von einer anderen Person tatsächlich auch angenommen zu werden. Ich wünsche Dir, dass Du eine solche Person findest.

Was Psychotherapie angeht... Ich habe mich damals für eine biodynamische Körperpsychotherapie entschlossen, weil ich das reden satt hatte und das ganze intellektuelle Gelaber. BEi dieser Form der Psychotherapie wird sehr viel verkörperlich, durch Massagen, Übungen. Es gibt aber auch viele Gespräche. Wenn dich Biodynamik interessiert, dann schau mal unter http://www.gbpev.de. Das ist die Homepage vom Berufsverband mit TherapeutInnenliste...

Bei der Wahl von Theapeuten gilt: Es gibt nur zwei Formen, welche von den Kassen getragen werden. VErhaltenstherapie und Psychoanalyse. Verhaltenstherapie ist wenig empfehlenswert, weil es bei Dir wahrscheinlich eher um behutsame Beziehungsarbeit und den Aufbau von Vertrauen geht. Psychonalyse ist hingegen sehr langwierig (ca. 3-5 Jahre mt zwei wöchentlichen Terminen). Bei allen anderen Theerapieformen gilt: Abrechnen können ansonsten grundsätzlich nur Ärzte, eine genauere Suche kann sich lohnen, weil es viele gibt, die sich über Zusatzqualifikationen wirklich dienlich entwickelt haben.
Da werden sich bei Dir sicher viele Fragen ergeben....

Lieben Gruß
Volker
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