Wiedersehen

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feather
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Re: Wiedersehen

Beitrag von feather »

Hallo meine liebste Wegbegleiterin,

Rio Reiser hat "müde Augen" und mir geht es ähnlich. Ich bin zurück aus der Landeshauptstadt, zurück von Moritz, der dort noch bis Freitag einem Job nachgeht und dann endlich heimkommt. Wir haben die Tage gut überbrückt, waren viel zusammen, und doch seh ich, dass es ihm nicht gut geht, wenn er allein ist. Versteh' mich nicht falsch. Ich habe keinen Job als Babysitter. Dennoch ist Zusammensein die Lebensform, die uns beiden irgendwie gut tut.
Wenn ich über seine Narben streiche und einzelne Tränen fließen, wenn wir über die Kö tanzen und das Lachen zwischen uns schwirrt, wenn er mich hochhebt, trägt und seine warmen braunen Augen mich anstrahlen und gleichzeitig auf mir ruhen, wenn ich mich schrott lache über ihn, wenn wir am Rhein sitzen und er mich ganz fest hält, wenn wir uns lieben und plötzlich im Spiegel sehen, wenn wir uns necken, foppen und berühren, immer wieder auch an der Seele berühren, dann kann ich emotional einfach durchatmen, dann spüre ich ganz deutlich, wo mein Platz ist in dieser Welt. Wo ich gebraucht werde und selber brauche. Wer der Mann ist, mit dem ich etwas wagen will, mit dem ich jetzt sogar ein Nest baue.

Natürlich habe ich auch Angst. Angst vor ihm, Angst um ihn, aber auch Angst vor mir. Vielleicht auch um mich, denn einen erneuten Crash zu verkraften, kann ich mir echt nicht vorstellen. Und eben auch um ihn, weil da - verkürzt geschrieben - doch psychisch einiges im Argen liegt. Ich weiß dann nicht, ob Zuhören, Halten, Streicheln und meine Sicht der Dinge da reichen. Meine zwar wohl überlegten, aber doch laienhaften Hinweise und Hilfestellungen, die ja auch uns zum Teil über die Jahre verbanden. "Du darfst mich dann nicht vergessen", sagte er heute leise, als wir zum Hofgarten gingen und über Barcelona sprachen, dabei schaute er ernst. Und überraschte mich damit, dass er sehr oft darüber nachdenke. Da ist man dermaßen eng mit einem Menschen, teilt alles, wie man denkt, und reinschauen kann man dann trotzdem nicht.

Dann gibt es dann noch die partielle Sorge vor mir selber. Manchmal habe ich den Eindruck, wichtig für Beziehungen sind auch Konditionsfragen. Mein erster Freund und ich: 20 Monate, 21 Tage. Dann der alte Mann und ich: zehn Monate (drei Trennungen inklusive). Thomas und ich: etwas mehr als zwei Jahre. Der Philosoph und ich: drei Monate (okay, das wollte ich ja auch eigentlich nicht). Ben und ich: Dreieinhalb Jahre, noch immer tut es weh. Noch immer liebe ich ihn, in gewisser Art und Weise. Okay, und ich habe Matthias unterschlagen, die Affäre, die ja immerhin auch mehrere Monate ging (er spricht immer von einem Jahr, aber das stimmt bei Weitem nicht). Und jetzt Moritz. Ich liebe ihn unbeschwert, wirklich, und doch sehe ich und fürchte mich vor mir. Sehe wie er mich braucht, finde das schön, und zugleich bedenklich. Ich hasse diese ausbrechende Seite an mir, diese komische Sehnsucht nach Freiheit, die mich dann manchmal packt. Freiheit finde ich nur bei ihm. Ich bin echt Hals-über-Kopf drin in dieser Sache. Und dann hasse ich diese andere Selbst, diese - so muss man es wahrscheinlich sehen - egoistische, selbstverliebte Selbstverwirklicherin mit der Dauer-Angst, etwas zu verpassen, der Neugier auf das Fremde, dem Hunger nach Leben, um mal mit der Brigitte-Reimann-Biogaphie zu sprechen. Diese unanständige, ungeerdete, narzistische Person wird mir diesmal keinen Strich durch die Rechnung machen. Sonst war es das letzte Mal, dass ich ihr Glück gegönnt habe.
Es ist schon frustrierend, wenn man sich das Glück immer eigenhändig zerschlagen hat.
Irgendwann wird sich das alles rächen, und ich werde einsam und unbeachtet leben.

Keine Ahnung, wo diese negativen Vibes gerade herkommen. Wahrscheinlich versuche ich, mich und mein Leben vor dieser nun schon ein paar Mal erlebten Entwicklung zu schützen. Schnell mal hier den Deckel zu.

Den eigentlich wollte ich, um das alles mal etwas zu verdeutlichen, mal aus seiner vorletzten sms, also von vorhin, zitieren. Nur bei Dir habe ich das Gefühl, dass ich mich so zeigen kann, wie ich bin, schrieb er. So schön ich das finde, so schlimm finde ich das irgendwie auch. Ich denke daran, dass ich Dich habe und Alia, dass ich Henrik habe, und Mama, und irgendwie auch Sonni, die Französin und eine andere enge Freundin. Auf der anderen Seite freut mich, dass eine Postkarte von mir von vor ein paar Monaten ihn wirklich sehr berührt hat (hätte ich, auch wenn ich mir Mühe gab, dann doch nicht so erwartet). Sie passt auch sehr zu uns, und überhaupt zu Menschen, die der Schalen-Schau müde sind und den wahren Menschen, den Kern, sehen wollen: Wenn ich mich zeige wie ich bin und Dich sehe wie Du bist, passen wir vielleicht gar nicht zusammen, so wie wir sind, sagt der Zweifel. Nur wenn ich Dich nehme so wie Du bist und mich gebe so wie ich bin, können wir uns nahe sein, so wie wir sind, sagt die Liebe.

Als ich die Nachricht von der Rückkehr Deines Vaters las, habe ich mich so richtig gefreut. Es kommt also wieder zusammen, was zusammen gehört. Natürlich wird es durch Nähe auch wieder Sand im Getriebe geben, aber das gehört zur Normalität. Räumliche Nähe schafft so viele neue Chancen, es ist unglaublich. Und Deiner Mutter? Kann man ihr nicht ein wenig seelisch unter die Arme greifen?
Apropos neue Chancen, wo weht es Dich hin? Wirklich in die Hansestadt? Wie sieht es mit der Wohnungssuche aus? Auch wenn wir jetzt beide umziehen, unser Zuhause hier bleibt, hörst Du?! Wenn ich mal abtauche, dann nur, weil ich mich hier in Alltag und Beziehung austobe, aber das wird auch wieder ruhigere Bahnen ansteuern. Wir haben ja jetzt auch noch eine zweite Andockstelle, und glaub mir, so lange ich Internet habe, vergeht kein Tag, an dem ich Dir keinen virtuellen Besuch abstatte. Auch wenn die zweite Spur ja jetzt schon viel weniger abstrakt ist als unser schönes, kleines, gefühlvolles, samtig-weiches Nest.

Morgen geht's zu meinen Eltern, und das schon früh am Morgen.
Ich muss hier also nun die Segel streichen. Aber nur für heute meine Freundin, und auch nur, was das Tastengeratter anbelangt. In meinem Herzen ist immer ein Platz für Dich, eben noch las ich mir das Juli-Blatt zum etwa 30. Mal durch, und Dein Foto ist auch an seinem Platz. Muss mal sehen, welche Wand Ihr - Du bist in einer Reihe mit Ben, Alia, Sonni und einer Gruppe, in der sich Matthias findet - in der neuen Wohnung bezieht. Adresse lass ich Dich rechtzeitig wissen. Bin ja schon traurig um meine schöne Kneipenviertelwohnung... :( Aber wie schrieb Alia noch so schön? "Das ist doch ganz normal, dass Du die Buchsen voll hast. Aber Du wirst kein Stück Freiheit verlieren - es wir nur neu definiert. Genau wie Deine Wohnungseinrichtung [...] und Baby, Du kannst nicht auf ewig in Deiner kleinen Bude bleiben oder will mein Drechen sich etwa nicht entwickeln? :) Außerdem wer nicht wagt, der nicht gewinnt. In diesem Sinne: be wild honey!"

Das gebe ich doch gern weiter: BE WILD! Und verlier mich dabei nicht aus den Augen.

Ich küsse Dich und rufe "Auf ganz bald",
Deine Feather
Zuletzt geändert von feather am 30. Juli 2007 02:10, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Wiedersehen

Beitrag von feather »

...einen Tag später hat er mich total fertig angerufen und war völlig mit den Nerven runter. Wie kann ein Mensch nur so gut sein, so talentiert und akurat, und dann so daran zerbrechen an sich selbst, den eigenen Ansprüchen, den Panikattacken, den Tränen, dem Druck...
Ich bin so froh, wenn er wieder da ist. Wenn ich besser für ihn da sein kann als über sündhaft teure Handy-Telefonate, in denen Nähe zwar emotional, aber nicht körperlich hergestellt werden kann. Mehr kann man dazu eigentlich nicht sagen.

Ich hab Dich lieb.
Feather
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Re: Wiedersehen

Beitrag von feather »

Vielen lieben Dank.
Schlaf gut,
meine Liebste.
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Nightingale
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Re: Wiedersehen

Beitrag von Nightingale »

Liebe Feather,

nach einem Sonnentag, wie wir ihn hier im Norden lange nicht mehr gesehen haben, scheint auch mein Kopf wieder klarer und es ist nicht mehr, wie noch in der Nachricht an Dich vor zwei Tagen, pures Durcheinander im Oberstübchen. Ich habe mich beruhigt und will mich auch gar nicht aus dem Konzept bringen lassen. Nein, das hier soll ein unbeschwerter Sommer sein und wenn er das im ganzen Stress, den Eileen in unserer Mädelsrunde aufwirbelte, bis jetzt nicht wirklich war, jedenfalls nicht im Ganzen, Stückchenweise für mich schon - aber stückchenweise hat man's eben ungern, lieber hat man's ganz, mit allen zusammen, die man liebt - soll er es jetzt endgültig sein.

Mein Bruder und ich strampelten heute an die Ostsee, konnten endlich mal Wärme tanken, Eileen und Anna kamen auch, und einmal kämpften wir uns sogar durch die Wellen, die der Wind uns hier im Norden trotz des turkisblauen Himmels bescherte. Alles war schön und nach 50 Kilometern Radweg (ohne Witz! Nightingale hat hammerharte Waden;) und Geschwisterausflug, leicht geröteter Haut, ist zwar mein Körper müde, aber meine Seele ausgeruht. Ich lass mich nicht beirren, nicht von der blöden Uniungewissheit, nicht von dem grauen Starr meiner Mutter (Diagnose heute vom Augenarzt, nach Netzhautablösung jetzt das), nicht von N.s Rückkehr aus Portugal nächste Woche. Auch nicht von meinen Halb-Beziehungen, nicht durch den NEON-Artikel, der ungewollt ins Schwarze trifft, wenn da steht, er könne keine richtige Beziehung brauchen ' - bedeutet: "Jemanden, der sonntags mit ihm Tatort schaut, danach für Sex zur Verfügung steht und bei ihm im Bett übernachtet, schon." Genauso lief es, ich kam, wir schauten Tatort, danach beendeten wir es (was immer 'es' war und 'wir' auch nur, weil ich merkte, dass er sich gestresst fühlte, so kurz vor seiner Abreise nach Südamerika von einer nach Nähe Lechzenden, und ich ihm deswegen entgegen kam. Vom Stolz gedrängt, wollte ich am Ende wenigstens nicht diejenige sein, die sitzen gelassen wird, sondern lieber die, die freiwillig aufsteht und geht.), schliefen noch einmal miteinander, beieinander und verabschiedeten uns dann berührungslos, weil er zur Arbeit und ich unter die Dusche musste. Heimlich weinte ich später auf dem Heimweg, der Regen klatschte gegen meine glühenden Wangen und ich fragte mich, ob ich ihn hätte festhalten können - für mehr schöne Stunden, ein paar schöne Tage - wenn ich es nur probiert hätte.

Ich beneide Dich, um Dein langsam entstehendes Nest, Dein Heim, wage ich jetzt sogar schon zu sagen, ich beneide Dich mehr, als ich es vielleicht vor ein paar Monaten noch gekonnt hätte. Bin ich doch auch mehr ein Fluchttier gewesen in den paar "Beziehungen" - die Tüdel sind beabsichtigt, welche Beziehungen ließ ich denn schon zu - auf der Flucht vor Enge, vor Verantwortung, vor Gewohnheit und ganz bestimmt, genau wie Du, der Freiheitsdrang, hin zum Abenteuer, hin zu "Vernunft darf niemals siegen." Die paar Wochen mit Jari zeigen mir aber auch, dass ich sehr wohl Beziehung 'kann'. Ich bin fähig und will Zweisamkeit, ich will Gewohnheit und genau wie Du will ich Verantwortung. Du kümmerst Dich um Moritz, der Dich braucht, nicht weil er einen Babysitter braucht, sondern weil er merkt, dass er das kann - jemanden brauchen, jemandem so sehr vertrauen, dass man sich, ein Stück weit zumindest, abhängig macht von diesem Jemand. Ich will das auch. Dass da immer noch ein bisschen von dem unsteten Geist bleibt, tja, so sind wir. Aber vertrau Dir ruhig, ich jedenfalls tu's. Ihr macht das schon, und ach, das wird bestimmt schön! Und ich? Ich schaue, dass mein Nest, solange ich's alleine bewohne, nur ordentlich gemütlich bleibt mit viel sommerlicher Sonne und zwischenmenschlicher Wärme. So einer, wie wir sie hier haben.

So, schnell Kammerflimmern gucken,

ich hab Dich lieb,

Nightingale.
Nightingale
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Re: Wiedersehen

Beitrag von Nightingale »

Hey feather,

es geht doch nichts über ein bisschen Forumspflege, dachte ich mir und wollte mal wieder in die Tasten hauen und nicht wie die Tage zuvor ziellos durchs Netz streifen, ziellos auch im Kopf, sondern hier einkehren und ausschütten. Hence the drifting gibt es nur nichts zum Ausschütten. Ich hangele mich so durch die Tage, bin mit den Mädchen unterwegs und auch viel zu Hause, hin und wieder übe ich mich im Autofahren und tue das, was ich lange schon mal machen wollte und es doch nie - jedenfalls nie reinen Gewissens - hinbekommen habe: Nichts. Alles ist stressfrei, sogar die Beziehung zu Eileen, zu meiner Mutter und ich sehne mich nur manchmal, wenn das Wetter schlecht ist und ich gefangen im eigenen Geplänkel Regung brauche, noch ein bisschen Wirrung. Aber weil Sehnsüchte Luxus sind, vor allem die nach ein bisschen (Ver-)wirrung, halte ich still und genieße die Gefühlsflaute.

Aber wie geht es Dir? Wilde Gewässer oder sturmlos? Du meldest Dich, doch wenn es nicht mehr gehen sollte? Und auch wenn doch?

Unoriginell, aber voll der Liebe,
Jytte
Nightingale
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Re: Wiedersehen

Beitrag von Nightingale »

In Begleitung von irgendeiner supersüßen Coco, die mich hier mit Girliepop beschallt, statte ich Dir, ungeachtet der späten Stunde einen Besuch ab.

Hach Feather,

jetzt überstürzt sich's doch ein bisschen, ganz unerwartet und die einzige passende Reaktion auf den Aufruhr ist Schlaflosig- und Ahnungslosigkeit. Deswegen die Uhrzeit, deswegen die völlige Unfähigkeit einen klaren Gedanken zu fassen.
So schlimm ist es dabei gar nicht. Eileen und ich bummelten gestern noch studentenlike durch die Schanze, saßen im lauen Sommerabend (so, wie man sie dieser Tage nur noch selten mitbekommt) im Café, tranken Bier und futterten Schafskäsewraps. Später noch schlürften wir mit K. und einem Freund Cocktails an der Alster und ich war leicht und entspannt. Und heute? Heute ist die Entspannung dahin und ich will mir die Decke über den Kopf ziehen und der Welt, wenigstens für die nächsten Tage, den Mittelfinger zeigen.

Dabei sind es Kleinigkeiten, die mich jetzt wohl nur der Aufregung wegen beschäftigen. Hier sitze ich und lerne die Punkte der Abfahrkontrolle für den blöden Führerschein, während die anderen in der Mühle sitzen und quatschen. Vorhin sagte ich ab, obwohl mir der Gedanke gefiel, mit leicht duseligen Kopf dem Prüfer morgen die Hand zu schütteln oder so wie Jessica Schwarz mit Zunge zwischen den Zähne und "Ihr könnt mir gar nichts" Miene hinterm Steuer zu sitzen. Und von mir aus auch durchzufallen, egal. Nur bloß so cool sein. Und vielleicht einen Daniel Brühl haben. Das wäre schon gut.

Ich habe hier nur einen Yari, der sich die ganzen Wochen nicht gemeldet hat (und wusstest Du, dass er jetzt doch hier bleibt? Über Ecken habe ich das erfahren. Und den Schlag in die Magengruppe mit einem süffisanten Lächeln, einem "Ach, was Du nicht sagst." abgetan.) und ausgerechnet diesen Abend nichtssagende SMS an mich verschickt. ["Und ich dache man sieht sich evtl heute Abend in der Mühle ... Schade, vielleicht beim nächsten mal!" Und da konnte man das Geld nicht lieber sparen?] Und dann ist auch noch der alte Mann aus Portugal zurück und ich erwischte mich heute tatsächlich dabei, wie ich mein Handy mitschleppte, als ich den Müll nach draußen brachte. Dabei kotzt mich das schon an, weil ich weiß, dass es meine emotionale Langeweile ist, die mich treibt. Und auf ein bisschen Chaos hofft. Nur kurz natürlich, nur für den Moment, den ich brauche, um mich daran zu erinnern, wie ausgeglichen ich die letzten Wochen war und wie gut diese Pause auch letztendlich meiner Psyche getan hat.

Ich hoffe natürlich, dass sich diese innere Ruhe noch ein bisschen beibehalten lässt. Morgen Abend wird gefeiert - ob mit oder ohne Führerschein. Und dann ist auch schon alles wieder gut, dieser Stimmungseinbruch zu Ende und ich kann weiter langweilig sein. Welch ein Spaß das wird!

Hast Du den auch?

Küsse,
Nighti.
Nightingale
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Re: Wiedersehen

Beitrag von Nightingale »

Das Wasser läuft schon, nicht nur in meine Badewanne, sondern auch draußen mal wieder. Orkanartige Böen peitschen riesige Regentropfen gegen mein Fenster, es ist dunkel und ich freue mich aufs heiße Bad. Nur raus aus dem Schietwetter.

Hey feather,

Big Girls don't cry, meint Fergie, die auch Dinge singt, wie "And I'm gonna miss you like a child misses their blanket" und ich bleibe trotz der üblen Grammatik dabei, und auch trotz oder gerade wegen des schnulzigen Pops, von mir aus auch mit booty shake, I don't care. Ich habe geweint, aber dem Big-Girl-Dasein noch fern, wird man es mir wohl nicht zu sehr übel nehmen. Ich bin übel gefahren, schrecklich, krupzelig, wie ich aus Spaß diese Fahrweise ganz cool Worterfinderin-like vor ein paar Übungsstunden noch nannte. Nur war das kein Spaß, sondern ernst. Und ekelig dazu. Aber schön und gut, ich hab den Lappen. Ob mit oder ohne Mädchenbonus, ob mit oder ohne Erleichterungstränen, alles egal. Ich hab ihn. Und das ist, was für mich gerade zählt.

Das soll gefeiert werden gleich mit den anderen in der Stadt des Marzipans. Ich werde mir die Seele aus dem Leib tanzen und dabei an Dich denken.

Tust Du das auch ab und zu? An mich denken?

Liebe Grüße,
Deine Nightingale

P.S: Alles gut bei Dir?
feather
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Re: Wiedersehen

Beitrag von feather »

nur kurz meine liebe, eine scheisstastatur ist hier am start. Gruesse aus Granada. Morgen Alhambra, danach gehts nach Cartagena. Alia ist dabei, Moritz und Alias Freund. Wir fahren hoch bis Barcelona, auch mit Fuehrerschein natuerlich, die herzlichsten Glueckwuensche dazuª

das sollte ein ausrufeyeichen sein.
habe wartende englaender im nacken.
haben ne gute zeit hier.
Und das wichtigste: Natuerlich denke ich an Dich, mehr als Du Dir vorstellen kannst.

Zu hause mehr,
Deine Dich in Gedanken drueckende
Feather
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Re: Wiedersehen

Beitrag von Nightingale »

'Ein unbeschwerter Sommer' lese ich ein paar Zeilen weiter oben und schaue dabei raus ins Regenwetter, durch das ich vorhin schon gute 20 Kilometer strampelte. "Ein unbeschwerter Sommer" klingt da wie der Titel eines Films, den man in kalten Winternächten schaut und sich nach dem Geruch von gemähtem Gras sehnt oder nach dem von Holzkohle, nach langen Sommernächten und dem Geräusch von kreischenden Kindern im Schwimmbad. Eben noch schaute ich Eure Route auf Google Earth nach und meine eigene Sehnsucht nach Sonne und Meer wurde unerträglich.

Aber, liebste Feather,

es ist schön zu hören, dass es Dir gut geht. Macht Euch da unten noch ordentlich ne schöne Zeit! Ich hier oben wärme mich einfach von innen, auch wenn das gerade nicht so einfach scheint. Blöder Regen, wirklich!

Lass von Dir hören, wenn Du wieder im Lande bist.
Ich küsse Dich,

Nighti
Zuletzt geändert von Nightingale am 21. August 2007 13:44, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Wiedersehen

Beitrag von Nightingale »

Es ist spät und eigentlich sollte ich ins Bett, aber eigentlich gehen mir diese Telegrammnachrichten auch auf den Zeiger und ich sollte mir, wie ich mir eigentlich vorgenommen hatte, Zeit nehmen und mal wieder ein bisschen eintauchen in das, was wir haben. Eigentlich ist hier aber auch zu viel eigentlich.

Deswegen kurz und schmerzlos, auch für Dich, allerliebste Feather, so musst Du Dir wenigstens nicht meine endlosen Tiraden anhören, die ich, im schrägen Nervenkostüm schon bei einer halbengen Freundin ablud, denn mit Eileen in Holland (für drei Wochen immerhin nur) und Nils in Frankreich (für ein Jahr!) bleiben mir hier nicht viele Anlaufstellen. Ich bin nicht einsam, ein bisschen allerhöchstens, aber es gibt immer noch Axel und auch K. und - ach, ich überleb das alles. Ich weiß, Du musst jetzt ziemlich im Umzugsstress sein und will Dich nicht belagern, hoffe aber, es geht alles gut und naja, ich sende euch virtuelles Brot und Salz und ganz viel Glück und so. Das wird bestimmt richtig schön!

Ansonsten: Ich bin für Hamburg angenommen und schicke morgen alles los und dann bin ich ab Oktober vollwertige Studentin der Deutschen Sprache und Literatur. Hat sich doch alles gefügt und der Brocken is wenigstens runter vom Herz. Der alte Mann hingegen ist noch mal aufgetaucht und hats gleich wieder beschwert. Und ja, alles nicht so einfach. Diese Geschichte findet kein Ende, nicht zuletzt weil ich ihr keins geben kann. Ich kann einfach nicht loslassen.

Du hingegen lässt jetzt los. Du gehst ein. Was Neues. Riskierst. Bist mutig. Und das finde ich toll! Wirklich!

Lass Dich drücken,

Nighti.
Nightingale
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Re: Wiedersehen

Beitrag von Nightingale »

Auf gut Glück versuche ich Dir aus der stockenenden Internetverbindung, die hier aus unerfindlichen Gründen leider immer noch herrscht, ein Lebenszeichen zukommen zu lassen. Die Erkältung, die mich sozusagen aufs Stichwort gleich nach dem Umzug heimsuchte, ist jetzt fast ausgestanden, und das Chaos, auch das emotionale so weit eingedämmt, dass ich endlich mal wieder einen klaren Gedanken fassen kann. Und der gilt natürlich unter anderem Dir. Deswegen,

hallo, meine Liebe,

wie sieht es in Sachen Chaos bei Dir aus? Wie lebt es sich in der neuen Zweisamkeit? Noch sehr ungewohnt? Lass mal von Dir hören, wenn sich alles wieder eingespielt hat.

Eingespielt hat es sich bei mir zwar noch nicht völlig, ich strauchele hin und wieder unter der Last des Neuen und Ungewissen, aber es ist, wie ich auch Eileen gerade nach Holland sendete, "unendlich spannend". Die beste Freundin weilt seit etwa zwei Wochen im Süden und war fast so überrascht, wie ich selbst, von dem, was ohne ihr Beisein im Norden passierte. Ich denke oft an sie, oft, wenn es draußen dunkel ist und ich im Bett liege und in den graugelben Himmel schaue - die Sterne sieht man hier ja nicht - und von Gegenüber der Fernseher eines Nachbarn lustige Lichter an meine Wand wirft. Sie fehlt mir, eine Konstante, die mich über Wasser hält und mich daran erinnert, dass ich nicht alleine bin.

Dass ich das nicht bin, wird mir natürlich auch durch vieles anderes bewusst, durch meinen Bruder zum Beispiel, der vorbeikommt und mir heiße Zitrone macht und Eis zum Halsschmerzbekämpfen gibt. Oder meine Mutter, zu der ich krank für einen Tag flüchtete und mich pflegen ließ. Oder mein Papa, der mir herzzereißende Briefe schreibt und Dinge wie: " Ich freu mich auf Dich, auf Dein Leben und meinem Platz in der ersten Reihe, oder in der zweiten, wo die alten Herren Väter eigentlich hingehören." Auch ein Brief von Nils flatterte gestern aus Frankreich ins Haus. Der macht sich gut und schwankt auch nur hin und wieder. Aber mittlerweile und das merkte ich nicht zuletzt an der steifen Brise, die hier vom Hafen, der direkt hinterm Haus liegt, weht, gehört ein bisschen Schwanken wohl dazu. Meinst Du nicht?

Ich genieße die letzte freie Zeit, die mir vor dem Ersten noch bleibt, jobbe hin und wieder in einer kleinen Bar hier um die Ecke und kümmere mich um Bafög-Kram, versuche mich ordentlich erwachsen zu geben. Dass das noch immer nicht einwandfrei klappt, macht nichts, denn es gibt ja immer noch genug starke Arme, die mich halten. So ganz ist das hier noch nicht der freie Fall - und das ist gut so. [Tatsächlich schickte man mir dann noch eine völlig unerwartete Zusage aus Berlin. Ursprünglich meine erste Wahl. Aber nun mit nahezu beiden Beinen auf dem hanseatischen Boden, will ich hier nicht mehr weg. Es fühlt sich richtig an zu bleiben. Und daran halte ich mich. Nicht zuletzt, weil meine sensible Seele auch nur ein gewisses Maß an Abenteuer verkraftet - und ganz ehrlich, mir reicht das schon jetzt.]

Viel Raum für anderes bleibt da nicht, der alte Mann und K. luden mich zum Zelten auf eine Ostseeinsel ein, aber ich sagte ab. Es tut weh und ich vermisse ihn noch immer, vor allem wenn er dann mal wieder kurzfristig durch meinen Alltag stolpert und ich merke, wie gut mir seine Anwesenheit tut. Oder zumindest wie gut ich glaube, dass sie mir tut.
So oder so, Eileen meint, das Neue würde die alten Leiden irgendwann verdrängen. Und ganz ehrlich, ich wünsche mir das. Wie sieht es mit alten Leiden bei Dir aus? Auskuriert?

Es gibt bald mehr, wenn ich mich hier virtuell sicherer fühle. Jetzt schicke ich das erst mal ab, bevor die Verbindung versagt und Schweigsamkeit hier zur Routine wird. Und das wollen wir ja nicht.

Bis dahin
Küsse,

Nightingale.
Zuletzt geändert von Nightingale am 12. September 2007 11:20, insgesamt 1-mal geändert.
Nightingale
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Re: Wiedersehen

Beitrag von Nightingale »

Liebste feather,

kennst Du das, wenn Du selbst das größte Ungeheuer bist? Normalerweise schieben wir die Karte nur zu gerne weiter, an Osama bin Laden zum Beispiel oder an den Typen, der sich vor uns in die Schlange drängelt. Wir kommen davon, die Kritik an uns selbst ist oft die Schwächste - natürlich geben wir das nicht zu, Ungeheuer wie wir sind - den schwarzen Peter haben alle. Wir nicht. Wir doch nicht.

Aber immer wieder kommen wir an Punkte, an denen wir, so sehr es auch schmerzt, uns und anderen eingestehen müssen, dass wir so lammfromm dann wohl doch nicht sind. So ein Tag ist heute. Und Du bist die anderen. Wenn das mal kein Einstieg ist.

Ich lese gerade den Hornby "A long way down" und auch wenn Du Recht hast und der Roman an vielen Stellen hinkt, finde ich mich doch wieder. Nicht so schlimm, dass ich auf hohe Häuser steigen würde oder zu nah an der Kante stehe. Aber ich will springen, im übertragenen Sinne natürlich, ich will mich besiegen oder so (okay, selbst das hinkt, aber egal jetzt), ich will dem ganzen ein Ende bereiten (nicht dem Leben. Wie gesagt, so verzweifelt bin ich dann nun wirklich nicht.). Und einfach gucken, was dann kommt. Und ob es wirklich so schrecklich ist ohne ihn. Ich bin wie Jess, eine nervtötende Göre, etwas belesener vielleicht, aber wenn es darauf ankommt, auf Feingefühl, auf bestimmte Regeln im Raum der Zwischenmenschlichkeiten, die es nun mal gibt - ignorieren gilt nicht! - eine totale Dampfwalze. Oder eine Raupe Nimmersatt, wie Du so schön sagst.

Und berechnend. Nicht unbedingt im fiesen, andere in die Pfanne hauend berechnend, mehr so, dass ich es mir zusammen fuchsele, dass es für mich passt. Ich schmiede Pläne und schlimmer noch - auch etwas, das mir neu an mir ist - führe sie aus. Eiskalt. Und sie klappen, wie gestern Abend (Postfach).

Das berechnende Ungeheuer ist ein Stück weit gezähmt, nicht zu letzt wegen jener Sorgen, die über postpubertäre Gefühlsanfälle hinaus gehen, und Anna, K. und der alte Herr kochen später und ich bin zum ersten Mal froh weit weg zu sein. Später gehen wir Mädels noch los, aber dann morgen kann ich mich den Tatsachen wohl nicht länger entziehen. Und muss zum Arzt.

Wo ist mein verantwortungsvolles, liebenswertes Ich? Wurde das jetzt abgelöst? Bin ich nicht mehr Freak, sondern ab jetzt Monster? Und warum hören alte Leiden nicht auf? Sondern werden zu chronischen Erkrankungen, die Verborgenes wecken und Fratzen zum Vorschein bringen? Was meinst Du? Ärztliche Ratschläge? Oder nur Ekel?

Ich könnt's verstehen.

Grüße vom Hulk,

Nighti.
feather
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Re: Wiedersehen

Beitrag von feather »

Meine liebe Nachtigall,

it's been a long time, doch letztlich fühle ich mich hier und im Email-Postfach am Wohlsten. Hier ist unser Heim, und als ich mich eben in die Vergangenheit einlas, wurde mir wieder bewusst, wie viele Schritte des Weges wir schon zusammen gegangen sind.
Wenn ich die Zeichen der halbrealen Welt richtig zu deuten verstehe, weilst Du derzeit bei K. in der Hauptstadt. Ich mache mir weiter Sorgen um uns beide, in der gleichen Angelegenheit, wenn Du verstehst, was ich meine. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir beide schon noch unsere Köpfchen aus der Schlinge ziehen werden (wie unpassend formuliert). Trotzdem sollten wir schleunigst damit aufhören, unser Glück überzustrapazieren.
So. Das waren die mahnenden Worte für heute.
Ich hätte gern noch mehr geschrieben, jetzt sind aber grad Dinge passiert, die mich etwas aufregen, und irgendwie krieg ich den Kopf nicht frei. Sind so Sachen. Ein Schüler von mir hat den Glauben an sich verloren und will das Studium schmeißen (er glaubt, dass sie ihn rausschmeißen und will dem durch Aufgeben zuvor kommen - ich weiß allerdings, dass er bestanden hat, aber darf es ihm nicht sagen), der Unaussprechliche hat sich übers Dings gemeldet (ich kotze und bin selbst Schuld, da ich ihn angeschrieben hatte) und irgendwie bin ich auch Moritz-nachdenklich (es läuft echt gut, aber ich sehe, dass er wirklich starke Probleme hat und weiß nicht, wie das werden wird). Bei der Durchsicht vorhin sah ich, dass ich schon vorher stutzig wurde, aber auch viel mehr hätte werden sollen. Irgendwann sagte er mal zu mir: "Psychisch geht bei mir das volle Programm." Aber da wusste ich noch nicht, wie sehr ernst er das meinte. Oder was darunter zu verstehen ist.

Nun ja, eine Sache, die ich aus den letzten Tagen gelernt habe, ist, dass oft auch einfach die ganz normalen Kleinigkeiten helfen, Reden alleine bringt da schon was, aber die Praxis ist wie immer auch sehr wichtig. Wenn ich ihn im Supermarkt anlächle und aus seiner temporären Verkrampftheit rüttle, ist das glaub ich mindestens genauso wichtig wie das Gespräch. Apropos Gespräch: Ist mit dem unerverantwortlichen alten Mann auch schon ein gewisses Gespräch geführt worden?

Fühl Dich gedrückt,
Deine Feather
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Re: Wiedersehen

Beitrag von Nightingale »

Meine Liebe,

zurück aus der Hauptstadt (auch der Hauptstadt der Leichtigkeit und des Loslassens), zurück an der Elbe - der Himmel ist hier zugezogen und es blitzt und donnert - versuche ich mir das zu bewahren, was ich mit der Berliner Luft einatmete. "Wake up in New York" tönt es hier. Don't you ever wanna lie down, when there's noone else around? fragt der Sänger gerade und, ach, ich glaube, der Herbst ist mal wieder da.

Aber natürlich geht auch mir diese Miesepeterlaune auf den Zeiger, mir geht es ja gut, das Studium beginnt bald, ich vertreibe mir die Zeit mit Arbeiten, mit schönen Kleinigkeiten und trotzdem: Ich bin alleine. Die Tirade, die folgen sollte über meine emotionale Isolation, meine totale Unfähigkeit mich dem Neuen hier zu öffnen, lasse ich unangefangen. Schlucke sie herunter, weil auch diese Nörgelei auf die Nerven geht, dieses Novembergemüt, diese Unzufriedenheit, obwohl es doch eigentlich gar nichts gibt, das schief läuft. Ich betrachte das genug von Außen, sehe an Eileen, welch Teufelskreis so eine pessimistische Haltung zum Leben sein kann, wie sehr auch die Umwelt bald die Schnauze voll hat von der ganzen Klagerei. Eileen ist unerträglich, natürlich, sie hat's schwer, weiß nicht wohin, hat keinen Studiumsplatz, keine Alternative, aber hey, es ist eben auch kein Weltuntergang, dann probiert sie's in ein paar Monaten noch mal. Sowas eben. Alle aufmunternden Worte sind vergebens, werden oft sogar mit verbaler Aggressivität belohnt, die dann nicht mehr gegen die Welt, sondern auf einmal gegen die beste Freundin gerichtet werden. Ich solle mich nicht beschweren, bei mir hätte es sich ja alles so gefügt und überhaupt. Dass sich das nicht alles einfach so gefügt hat, dass ich immer noch am struggeln bin, dass es kein Kinderspiel war und viel Initative bedurfte (die ich ungern zeigen wollte), dass sieht sie nicht. Und schwupps - bin ich hier am Nörgeln. Ach, ach, ach. Das Leben ist schon schwer. Um mal die Lieblingsfloskel dieser Tage zu benutzen.

Aber sag, wie lebt's sich bei Dir? Sind die neuen vier Wände ordentlich farbenfroh? Und bieten sie genügend Schutz vor den Widrigkeiten des Alltags. Und der Hässlichkeit da draußen?

Was hier auch immer öfter ein Thema ist, sind die Kerle. Eileen ist verzweifelt. Durch ihren kleinen Ausrutscher im Juli, der nicht nur ein riesiges Chaos in unserem Freundeskreis fabrizierte, sondern ihre langsam entstehende Beziehung zu einem jähen Ende brachte, ist sie auch in dieser Hinsicht mit ihren Nerven am Ende. Jetzt vor zwei Tagen, als wir alle mal wieder feiern waren, sogar mit K. der aus der Hauptstadt mit in den Norden gekommen ist, war er auch dabei und auch wenn sie beteuert, ihre Gefühle abgekühlt zu haben, kommt es dann zu kleinen Szenen, wenn ich mit ihm tanze oder ihn - der besoffen die Treppen runterhumpelt - stütze. Sie ist - ganz ehrlich - keine gute Gesellschaft momentan. Sie ist abgekapselt, in sich gekehrt, nach Außen aggressiv und kritisch und ja, unhöflich. Ich weiß nicht was ich mit ihr machen soll, möchte sie einerseits unterstützen, lasse mich aber auch nicht schlecht behandeln.

Ich lasse mich nicht schlecht behandeln. Ha. Das ich nicht lache. Denn natürlich lasse ich mich das. Nicht nur von ihr. Sondern auch von dem alten Herrn. Und am besten von beiden zusammen. Ich kam zu spät zu ihr, weil ich bei ihm schlief und musste mir, emotional aufgewühlt, Vorwürfe anhören. Warum ich denn nicht auf sie hören würde und dem ganzen ein Ende bereiten würde? Sie würde nicht länger Energien dafür verwenden mich zu überzeugen, sie wolle nicht mehr über ihn reden, die ganze Nummer mit der Schwangerschaft wäre eh schon zu weit gegangen und überhaupt, die Affäre (sie nannte es so und zum ersten Mal widersprach ich nicht, sondern nickte nur ab) sei für alle Beteiligten ("Für mich auch, verdammt." , meinte sie mit zusammengezogenen Brauen) nicht gut und solle endlich zu einem Ende kommen. Und auch wenn sie Recht hat, Du auch, Feather, ihr alle. Ich kann es nicht. Ich will es. Ich will nicht mehr. Ich will nur meinen Frieden.

Die Welt da draußen geht weiter und ich bin froh, dass sie das tut. Es gibt viel zu tun, mein Vater besuchte uns im Norden, die Umzugspläne nehmen Formen an und ich freue mich auf ein gemeinsames Weihnachtsfest auf dem Gut, ich treffe mich mit Tati, Jari feiert Geburtstag, dann ist da Micha, ein blonder Lockenkopf bei der Arbeit, der mich glauben lässt, ich könne den alten Herren vergessen, irgendwann, bald. Auch wenns jetzt nur Blicke sind. Und er wahrscheinlich einfach nur die Gestalt des Traums ist, das andere folgen. Dass er nicht der letzte sein wird, der mich von innen aufwühlt, dass es andere geben wird, die mir besser tun, die mir die Möglichkeit geben außerhalb von selbstzerstörerischen Beziehungen zu existierien. Sondern in farbenfrohen Wänden, in einer Zweisamkeit, wie Du und Moritz sie habt. In einer Zweisamkeit, bei der ein Lächeln des anderen reicht, die Wogen zu glätten, bei der gemeinsamer Alltag heilt und zur Ruhe kommen lässt. Gefühlstechnisch. Auch wenn das das Unwort überhaupt ist.

So ist das hier. Schwierig. Aber eben nicht unlösbar. Und manchmal auch einfach schön. Und deswegen fällt es so schwer, loszulassen. Was nicht heißen soll, ich wüsste nicht, dass ich muss. Ich muss.

Alles weitere noch kurz privat,
schlag Du Dich nur weiterhin wacker,
ich küsse Dich,

Nighti.
feather
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Re: Wiedersehen

Beitrag von feather »

Nach langer Zeit habe ich Dich endlich wieder besucht.

Es ist alles neu hier, und doch vertraut. Neben meinen soeben entstehenden Zeilen blinken bunte Bildchen, hüpfen Smilies auf und ab, die mein Auge stören. Aber dennoch ist es unser virtuelles zu Hause. Und die nervenden Bild-Auf-und-abs lassen sich durch ein großes Post-It gut abdecken.

Ich will nicht so tun als wäre nichts gewesen. Wobei - eigentlich ist es das. Nichts gewesen, im wahrsten Sinne des Wortes. Nichts gewesen, was ich Dir hier hinterlassen habe. Nichts gewesen, was ich in Wort und Schrift - wie man so schön sagt - verarbeitet habe, sondern alles nur in meinem Kopf. Wenn überhaupt. Ich habe gerödelt, rotiert, gehalten und mich selbst fast verloren. Bin zwischenzeitlich fast wahnsinnig geworden. Wenn ich morgens um sieben Uhr aus dem Büro gekrochen kam zum Beispiel, ausgelaugt, den Sonnenaufgang kaum wahrnehmend, in einem Zustand zwischen Hell und Dunkel, emotional nur dämmernd. Das alles war in den letzten Monaten einfach zu viel: Urteile schreiben, Materialien konzipieren, Unterrichtsstunden halten, im Unterricht sitzen, Klausuren schreiben, Klausuren korrigieren und ja eigentlich auch die Doktorarbeit, die dann aber doch nicht stattfand.

Doch seit Februar müsste eigentlich wieder alles gut sein. Ist es auch. Mein Wunsch, dass hier wieder so alles wird wie vorher, wird immer stärker, beinahe täglich schreibe ich Dir in Gedanken. Zu Hause dann: Moritz sitzt am einzigen/an meinem Rechner und arbeitet. Oder aber und und aber: Ich weiß nicht wie ich anfangen soll.

Denn ja, so ist es doch, wo fängt man an, nach einem halben Jahr Funkstille. Bei den eigenen kleinen und großen Katastrophen, den Tränensturzfluten, die da zwischendurch waren, oder den himmelhochjauchzend-Erlebnissen, den Gefühlsüberschäumern? Oder - hört das denn nie auf - den Gefühlsverwirrtheiten (keine Sorge, nichts Ernsthaftes - aber schau Dir mal Ri. Ma. unter meinen Freunden an...)? Vielleicht sollte ich aber am ehesten dem Ausdruck verleihen, was mich wirklich umtreibt: Ich denke viel an Dich.

Ich male mir ständig aus, wie es bei Dir so ist. Wenn ich lese, dass Du nachts betrunken Freunde anrufst. Ich sehe mich vor noch ein paar Jahren, eine Junge Frau, die durch die Straßen taumelt und betrunken Anrufbeantworter bespricht. Wie gehts Dir, meine Liebe, was macht die Stadt mir Dir? Und was das Leben? Was ist hinter der schwarz-weißen Stirn, unter der zwei Augen nachdenklich in die Ferne schauen?

Meinst Du, wir können das alles hier wieder reanimieren? Ich würde es mir so wünschen, und will mir auch Mühe geben. Es ist viel passiert in der Vergangenheit und ich würde so gerne einiges aufarbeiten. Fast wichtiger aber: Ich will, dass wir wieder gemeinsam Richtung Zukunft gehen. Das hat uns doch immer ziemlich gut getan.

Wie siehst Du das alles, Nightingale?

Von Herzen die liebsten Grüße

Deine Feather
Freiheit ist auch immer die Freiheit des Andersdenkenden.
Rosa Luxemburg
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