Identität Scheidungskind

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Ansa
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Re: Identität Scheidungskind

Beitrag von Ansa »

Guten Morgen Tami und Ihr Lieben,

Du wünscht Dir einen authentischen Umgang und kein Schweigen in bestimmten Bereichen, Offenheit - Ehrlichkeit - ich kann Dich SO gut verstehen, aber ich kenne kaum Familien (auch intakte Familien) in denen das so ist.

Ganz im Gegenteil, ich komme mehr und mehr zu der Ereknntnis, das so ein Umgang untereinander sehr selten ist und ein ganz besonderes Gut. Es gibt ein Buch, von Deborah Tannen, es heißt "das habe ich nicht gesagt" und darin erklärt sie, das Familien ihre eigen Sprache haben, ihre eigene Konfliktfähigkeit und ihren persönlichen Umgang damit. Wenn nun eine Familie sehr offen ist, kann das eine andere sehr verschrecken und es entstehen Missverständnisse und Abneigungen, gepaart mit Faszination - das passiert auch manchmal, wenn sie Familienmitglieder aus dem System heraus anders entwickeln.... so wie ich es bei Dir lese.

Nur wenn es so ist, ist eine Heilung schwer, denn es entstehen ja immer wieder neue Verletzungen durch unbedachte Momente, die auf ihre Art eine Fortsetzunge alter Verhaltensmuster sind und die "alten" Verletzungen nicht heilen lassen. Ich wünsche Dir von Herzen, das Du einen Umgang damit findest, denn das ist sehr schwer..... Ich kenne das aus der Familie meines Exmannes, Doppelbotschaften und deren Widerrufung "das hab ich nicht so gemeint" und Vorwürfe dazu "wie DU das wieder auffasst" und dererlei mehr. Das ist so schwer und mitunter habe ich an mir selbst gezweifelt, an meiner eigenen Wahrnehmung.... und auch an meinem eigenen Verstand, das war eine ganz schlimme Zeit. Aber heute weiß ich auch, das solcherlei Verhalten manipulativ ist und ich frage einfach nach. "Wie meinst Du das?" "Ich verstehe nicht, was Du mir sagen willst......" Aber dazu gehört sehr viel Kraft und Gelassenheit.

Und ja, solche garstigen Sätze haben meine Kinder auch gehört "ich wollte mich ja gar nicht von Mama trennen, Eure Seelen haben sich das gewünscht, ihr wolltet das erleben und ich schenke Euch DAS, ihr müsst dankbar sein und das annehmen, sonst passiert es Euch wieder." Für diesen Satz hätte ich meinen Exmann töten können! Mir blieb nichts anderes übrig, als gegen ihn zu reden und zu erklären, "Schade, das Papa das so sieht, aber ich weiß ganz ganz sicher, DAS ist anders.... bestimmt." Ich fand das ganz grausam und entsetzlich. Vor allem aber auch "ich bin so unschuldig tirilie flöth" - aber so war er ja immer..... und weil sich das durchzieht, durch unsere Geschichte, nehmen sie das zwar schmerzlich wahr und manches arbeitet auch in ihnen, aber sie wissen, da ist nichts dran. Ich finde solche Sätze sind nur eines, die Abwehrung allen eigenen Anteils und die Schuldzuweisung an diejenigen, die unschuldig sind. Ganz mies.

Und nichts, was man jemals verstehen müsste oder verzeihen. Das ist übrigens etwas, worüber ich mich oft zanke, manchmal gibt es Dinge die muss man nicht verzeihen - denn für mich bedeutet Verzeihen auch Verstehen und in gewisser Weise empfinde ich es dann so, das ich mein Einverständnis gebe - was ich aber zu manchen Dingen niemals geben kann. Von daher hab ich mir einen Standpunkt erarbeitet in dem ich sage "ich liebe Dich, aber das was Du getan hast war falsch und es bleibt auch falsch." Damit trenne ich zwischen Person und ihrer Handlung und komme viel besser damit klar.... aber das ist Individualpsychologie - die ist in Deuschland nicht so sehr verbreitet. Hier herrrscht vor "man muss verzeihen um verarbeiten zu können" und das halte ich in bestimmten Fällen für brandgefährlich und unangebracht.

@ MarliJo, ich hab Deinen Worten wenig hinzuzufügen, ich erlebe es auch ab und an, das Unverständnis herrscht, je nachdem auf welcher Seite man steht, ich finde aber den Austausch sehr wichtig und ich sehe, wie Einzelne sich weiter entwickeln, über lange Zeiten... ich wünsche mir mehr Verständnis, auch für Maxi.... ich wäre sehr betroffen, ob solcher Reaktionen gegen mein Kind- bei allem Verständnis, vorerst ist da eine ganze menge Emotion und die ist gleichberechtig und steht nebeneinder - manchmal wird das hier vergessen, aber ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Gemeinsam.

@ Sonnenschein, manchmal hilft es einfach ehrlich zu sein. Ich hab meinen Kindern gesagt, das ich mir nichts mehr gewünscht habe, als mit Papa zusammen zu bleiben (das entspricht der Wahrheit - ich hab es mir gewünscht - und Du auch, irgendwann) das es aber einfach nicht möglich war und das ich keine Lösung gefunden habe, die mir das ermöglicht hat. Heute nehmen meine Töchter (sie sind ja groß) das wahr und sagen "ich verstehe das und ansonsten hätten wir ja Deinen Liebsten nicht......" Sie erleben, das ich das Beste aus der Situation gemacht habe, was mir möglich war und das ist ziemlich gelungen, das hat natürlich auch Auswirkungen auf sie und ihr Erleben.

Wir haben auch darüber gesprochen, was wäre die Alternative gewesen - heute wo sie eben groß sind und bereits eigene Vorstellungen von Beziehung und Partnerschaft haben und sie meinen Umgang damit sehen und den des Liebsten und den von Papa und seinen Beziehungen daneben sehen, spüren sie den Unterschied und können sich entscheiden. Und solche Dinge sagen wie neulich "ich bin so froh über Deinen Liebsten, von ihm lerne ich, wie es sein sollte, untereinander." So einen Mann wie Papa wollte ich nicht haben..... der behandelt einen ja schlecht. Und darum geht es, sie teilhaben lassen, an den Erfahrungen und ihnen Lösungen aufzuzeigen. Ich bin froh, das ich sagen kann "ich habe mir eine Trennung weder vorgestellt noch jemals gewünscht" denn das ist schon so - aber wir haben einen Weg gefunden. Ich bin froh, das der Liebste das ähnlich sieht und sagt "ich wollte mich nicht scheiden lassen (er war auch verheiratet), aber es gab keinen anderen Weg für mich und so wie es heute ist, ist es gut und richtig." Sie spüren auch bei uns, das wir gern anders gehandelt hätten, aber sicher sind, indem was geschehen ist und ich glaube diese Sicherheit ist das Wichtigste, das wir unseren Kindern mitgeben können.

Und, meine Beratungsstelle, bei der alle Kinder (nicht von mir, das war wichtig) gelernt haben, das es Wünsche gibt, die legitim sind und die sich doch nicht erfüllen lassen und dort wurde ihnen auch geholfen, damit umzugehen..... ein wichtiger Schritt ins Leben. Wir alle können nicht alles haben, was wir uns wünschen.

@ Tami und all,

den sicheren Ort müsst Ihr Euch schaffen, es tut leider niemand..... so sehr man sich das auch wünscht, aber ihr dürft es für Euch tun, diesen Ort finden und schaffen und verteidigen. Mein Ort ist heute da, wo ich bin, mein Ort ist dort, wo ich lebe, ob hier oder in Schweden. Meine Kinder schimpfen manchmal, wenn ich sag "lass uns nach Hause fahren" und wir eigentlich gar nicht zu Hause sind, vielleicht ist das eine Folge dessen, ich trag diesen Ort mit mir....

Viele Gedanken und alle gehören irgendwie dazu.

Habt einen guten Wochenanfang
Ansa
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Tamara22
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Re: Identität Scheidungskind

Beitrag von Tamara22 »

Guten Morgen,
liebe Ansa, ich stimme dir zu mit der eigenen Sprache in Familien.
Weißt du wieviel Seminare etc. ich gemacht habe, um andere Kommunikationsmöglichkeiten zu finden, einen anderen Umgang miteinander...eine Menge.
Resultat ist, ich habe Ideen davon wie es sein könnte, Wünsche, Sehnsucht danach, dass mit mir so umgegangen und kommuniziert wird und ich bleibe meist damit allein.
Die wenigsten meiner Freund können das anbieten oder mögen mein Angebot da annehmen.
Damals als ich da sehr drin war, mich damit beschäftigt habe, sind Freundschaften auf einmal schwierig geworden..."du bist nicht so wie ich dich kenne", etc. Veränderungen mag nicht jeder und die freiheit dich neben anderen die "so bleiben wollen wie sie sind" verändern zu können ohne allein zu bleiben, die gibts kaum.

Ich mag da gern noch was später zu schreiben, nun mach ich mich mit Wärmflasche und Kamillentee auf die Autobahn arbeiten...habe seit Tagen Bauchschmerzen, was will mir das sagen?


Euch einen sonnigen Tag, hoffe die Sonne erreicht mich auch noch und ich lasse sie rein
Tami
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Traum-Tänzerin
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Re: Identität Scheidungskind

Beitrag von Traum-Tänzerin »

***
An dem Tag, an dem
die Last auf deinen Schultern
unerträglich wird
und du strauchelst,
möge die Erde tanzen,
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Re: Identität Scheidungskind

Beitrag von Tamara22 »

Ich bin so überfrachtet grade mit Eindrücken, die mir Druck machen, da wundern mich meine Magenprobleme nicht wirklich.
Bischen Entlastung schafft das hier schreiben, auch wenn ich denke, dass es mir letzlich nicht gut tut, da wieder soviel rein zu stecken, Kraft die ich ohnehin nicht habe.
Ist ein bischen wie ein Ertrinkender im eiskalten Wasser, ich klammer mich an ein Stück Treibholz, ersaufe nicht, aber ich muß da trotzdem raus, weils kalt ist und ich sicher erfrieren werde...

Ja und eigentlich bräuchte ich grade ein Gegenüber, jemand zum Reden aber ich schaff es nicht dafür zu sorgen. Weil ich mich nicht zumuten mag, so unzumutbar wie ich mich fühle.
Also frag ich ne Freundin ob sie Lust hat, sag aber nicht, dass ich grade so sehr jemand bräuchte. Das zum Thema Offenheit und Authentizität...

Ansa, ich weiß nicht mehr was ich noch schreiben wollte, wenns mir wieder einfällt tu ich das noch...

Tami
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tarsshaft
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Re: Identität Scheidungskind

Beitrag von tarsshaft »

hallo zusammen!

das ist ein thread, der mich sehr bewegt hat und in dem ich mich oft wiederfinde. ich bin auch ein scheidungskind. heute bin ich erwachsen, doch was meine erfahrungen in bezug auf die trennung und scheidung meiner eltern angeht, bleibe ich ein kind. denn es ist nun mal passiert, als ich 8 jahre alt war. ich bin sehr verletzt worden. und was noch schlimmer war: ich bin allein gelassen worden mit all dem schmerz. die trennung und scheidung meiner eltern ist ein thema, das mich mein ganzes leben begleitet hat und das in allen anderen themen immer irgenwann mit auftauchte. die trennung ist teil meiner kindheit, also meiner praegephase, und somit ist sie teil meiner identitaet.

die trennung war und ist immer thema in meiner familie gewesen. doch wir alle sind unterschiedlich damit umgegangen. meine mutter, mein vater und deren neue ehepartner sowie mein bruder haben verdraengt. ich war und bin die einzige, die das thema offen bearbeitet. das tue ich seit 30 jahren. mein "verhaeltnis" zum thema trennung sowie meine haltung gegenueber den beteiligten hat sich in all den jahren immer wieder veraendert. so gab es zeiten, in denen ich meine mutter und auch meinen stiefvater gehasst habe, meinen vater stattdessen glorifiziert. heute, aktuell schaffe ich einen "neutralen" umgang, wenn wir zusammen sind. das verhalten der anderen hat sich nicht veraendert. meine mutter hat immer noch ein schlechtes gewissen, weil sie gegangen ist. mein vater hat immer noch ein schlechtes gewissen, weil er uns kindern zitat "so was angetan" hat. mein stiefvater ist immer noch eifersuechtig, weil meine mutter auch mir und meinem bruder aufmerksamkeit schenkt. mein bruder kann es immer noch nicht lassen und provoziert unseren stiefvater am laufenden band.

ja, meine familie ist eine familie der verdraenger und ich bin die ausnahme, die das thema aktiv beackert. so gelingt mir der blick von aussen und das ist wichtig, denn jahrelang hat es mir schmerzen bereitet zu sehen, wie sich meine mutter und mein vater ob ihres schlechten gewissens verzehren. jahrelang wollte ich ihnen helfen. habe mir immer wieder angehoert, wie mein vater sagte "oh gott, was haben wir euch angetan. wie bin ich froh, dass es euch nicht kaputt gemacht hat." und habe dank dieser erinnerung wieder all den schmerz von damals gefuehlt. habe mir immer wieder angehoert, wie meine mutter sich ueber meinen stiefvater beschwert und mich mehr als einmal gefragt, warum sie meinen vater fuer einen mann verlassen hat, den sie auch nicht will. und habe dank dieser erinnerung auch wieder den schmerz von damals gefuehlt. heute kann ich sagen "das ist euer problem". und ich kann es auch so fuehlen. diese innerliche distanz erst hat es mir ermoeglicht, mich ihnen wieder zu naehern. und mein eigenes leben zu leben und zu gestalten, unabhaengig von der traumatischen erfahrung in meiner kindheit.

viele liebe gruesse, tarsshaft
Das Heute leben, das Kommende erwarten, das Vergangene nutzen.
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Ansa
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Re: Identität Scheidungskind

Beitrag von Ansa »

Liebe Tami,

dieses Thema ist auch sehr aufwühlend und ergreifend, es macht etwas mit einem - bleib bei Dir und tu nur so viel, wie Du kannst und magst, wenn hier eine Zeit der Ruhe einkehrt, oder manche Antwort ihre Zeit braucht, dann ist das okay, ich denk mal,wir laufen hier nicht so schnell davon sondern warten auch mal geduldig.

Ich bin damals in ein Forum gegangen, weil ich zu Hause niemanden hatte, so ein wenig waren meine Threads wie Tagebücher mit der wunderbaren Eigenschaft, das dieses antworten kann, nicht immer das was ich wohl gern gehört hätte, aber ich hab auch gelernt, das die Antworten, die ich nicht gern hören wollte - fast immer die waren, die mich weiter gebracht haben.

Das Wichtigste bei all diesen Prozessen ist wohl die Erkenntnis, das man, wenn das Gegenüber nicht will, machtlos ist, sprachlos bleibt und das man, dermassen an der Wand stehend, etwas aushalten muss, was man gar nicht aushalten will oder kann. Alles in einem drängt nach Antworten, Wegen, Möglichkeiten und nichts geht. Das ist so unendlich schwer....

Und vielleicht kommt auch psychologisch etwas dazu, Kinder nehmen ihre Eltern als allmächtig wahr, als Menschen die immer für alles eine Lösung haben, als ihren Lebensmittelpunkt, das ändert sich erst in der Pubertät und ich glaub, es löst sehr viel in Kindern aus, wenn sie dies Erleben früher bekommen als es im natürlichen Zeitplan sein sollte.... wenn die Eltern sich sicher sind und entscheiden,w as zu entscheiden ist, können Kinder diese Sicherheit behalten (so die Art "wir haben entschieden, Du bleibst bei Mama" anstatt die Abgabe der Verantwortung "bei wem möchtest Du denn leben?") und trotz des Traumas gesund groß werden.

Bleib einfach bei Dir und pass auf Dich auf.

Ansa

@ Liebe Tarshaft,

Du beschreibst das sehr anschaulich, die Sache mit dem schlechten Gewissen aller Beteiligten und ich hoffe ganz doll, das meine Kinder von meinem schlechten Gewissen so wenig wie möglich mitbekommen haben, keine Zweifel..... natürlich die Aussage "ich weiß, es ist so schwer und es tut mir leid, aber ich wusste keine andere Lösung (immerhin - die wusste ich) und nun machen wir das Beste daraus." nach vorn sehen. Es gibt ellenlange Untersuchungen was Mitleid mit Kindern macht - schwach, hilflos und ergeben - nichts, was wirklich gut ist und doch ist es so verdammt schwer.

Wer kann in seinen emotional aufwühlensten Zeiten, am Rande des eigenen Scheiterns, des Zerplatzens aller Lebensplanungen und -träume denn immer den Blick auf die richtigen Dinge wenden? Das ist übermenschlich, oder?

Und ja, erkennen, dass das Problem gar nicht Deines ist, gestattet einem im Nachhinein so unendlich viel....

@ all, ich bin sehr froh um diesen Thread, ich hab mich schwer getan, mein Exmann liest hier mit, ich lege nicht unbedingt Wert darauf, diese Dinge vor ihm auszubreiten - aber es geht nicht um ihn, sondern um mich und um uns..... Wir können hier viel voneinander lernen und zu einem anderen Verständnis für einander finden.

Ansa
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Traum-Tänzerin
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Re: Identität Scheidungskind

Beitrag von Traum-Tänzerin »

Liebe Tami,

ich bin hier, auch wenn mir noch immer die Worte fehlen....weil's so leise ist in mir..... :umarmen:

Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war: Zuhören.

Das ist doch nichts Besonders, wird nun vielleicht mancher Leser sagen, zuhören kann doch jeder.
Aber das ist ein Irrtum. Wirklich zuhören können nur ganz wenige Menschen. Und so wie Momo sich aufs Zuhören verstand, war es ganz und gar einmalig.
Momo konnte so zuhören, daß dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanken kamen. Nicht etwa, weil sie etwas sagte oder fragte, was den anderen auf solche Gedanken brachte, nein, sie saß nur da und hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und aller Anteilnahme. Dabei schaute sie den anderen mit großen, dunklen Augen an, und der Betreffende fühlte, wie in ihm auf einmal Gedanken auftauchten, von denen er nie geahnt hatte, daß sie in ihm steckten.

Sie konnte so zuhören, daß ratlose oder unentschlossene Leute auf einmal ganz genau wußten, was sie wollten. Oder daß Schüchterne sich plötzlich frei und mutig fühlten. Oder daß Unglückliche und Bedrückte zuversichtlich und froh wurden. Und wenn jemand meinte, sein Leben sei ganz verfehlt und bedeutungslos und er selbst nur irgendeiner unter Millionen, einer, auf den es überhaupt nicht ankommt und der ebenso schnell ersetzt werden kann wie ein kaputter Topf - und er ging hin und erzählte alles der kleinen Momo, dann wurde ihm, noch während er redete, auf geheimnisvolle Weise klar, daß er sich gründlich irrte, daß es ihn, genauso wie er war, unter allen Menschen nur ein einziges Mal gab und daß er deshalb auf seine besondere Weise wichtig war.
So konnte Momo zuhören!«

Aus: Michael Ende, Momo oder Die seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte. Ein Märchen-Roman, Stuttgart 1973, S. 14-16
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Tamara22
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Re: Identität Scheidungskind

Beitrag von Tamara22 »

Hallo Ihr Lieben,

liebe Ansa, ja es ist übermenschlich, irgendwie drückt dieses Wort aus, wieviel Macht in diesem Erleben steckt...wie das alles durcheinander bringen kann.
Mir tut es unendlich gut grade das wahrnehmen zu können, weil ich dann nicht mehr hier sitze und zweifle an mir und meinem Erleben. Es kommt bei mir an wie ein "ja, es ist so gewesen, da ist wirklich etwas passiert, das die Welt ins Wanken gebracht hat".
Ich schreibe hier auch, obwohl meine Familie darum weiß und hier lesen kann und ja das fällt schwer, aber hier gehts um mich und um meinen Kontakt hierher, da kann und will ich keine Rücksicht nehmen...

Liebe TT, auf dem Rücken der Schildkröte bei Momo stand "Hab keine Angst".
Heute hat eine Freundin mir geschrieben, hab keine Angst mehr lebendig zu sein und da merke ich wie sehr mich das grade be-trifft.
Ich brauche auch so eine Schildkröte, eine ausgstreckte Hand, die ich ergreifen kann, die immer da ist. Diese Angst davor verlassen zu werden ist so mächtig, das ist großer Mist.

Liebe tarshaft,
du hast dich innerlich distanziert...das kenne ich von meinem Bruder. Ich schaffe das nicht. Wie macht man das?
Vielleicht ist es tatsächlich so wie Ansa schreibt, diese Haltung "Ich liebe dich, aber ich mag nicht was du getan hast".
Ich habe Liebe für viele Menschen in meinem Leben und dann suche ich nach Verbindung, wie soll ich mich da innerlich distanzieren, wie geht das?
Vor allem, wenn das Aussen so oft schon so viel Distanz anbietet...


Ihr Lieben, danke dass ihr da seid!
Ich denke seit Tagen über meine Fußnote nach...und nichts davon erscheint machbar.
Doch weiter aushalten?

Habt eine gute Nacht...in der Mitte beginnt ein neuer Tag
Tami
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MarliJo

Re: Identität Scheidungskind

Beitrag von MarliJo »

Liebe Tami !

Wie das geht, mit der Distanz, kann ich dir nicht wirklich sagen... und wohl auch niemand anderses. Du bist Tami und nur du kannst herausfinden, was dir helfen kann, um dort hin zu gelangen.

Und doch hab ich Gedanken dazu, um die Dinge, die es vielleicht braucht, damit am Ende ein Loslassen möglich ist von den immer wieder gleichen, quälenden Gefühlen.
Dazu gehört ganz sicher, dass du dir deine eigene Identität zugestehst, wie du sie emppfindest.

Zum einen geht es um eine Art von Vergebung. Darum, dass du die Trennug deiner Eltern, ihrer Ignoranz dir gegenüber als IHR Unvermögen betrachten kannst mit etwas zurechtzukommen, womit sie vermutlich aus Überforderung Fehler gemacht haben, die dir sehr weh taten.
Ich sehe darin das, was Ansa anspicht, wenn sie schreibt, dass Kinder auch sehen und erfahren dürfen, das Eltern auch Fehler machen, ja auch scheitern.
Kannst du dir für dich so etwas wie eine Milde vorstellen, im Umgang mit den Versäumnissen etc. deiner Eltern ?

Weiter kann ich mir vorstellen, dass es helfen kann, wenn du dir die FRage stellst und íhr nachfühlst, was du dir wünscht. Insbesondere wünschst und erwarten kannst -oder eben auch nicht erwarten kannst - von Menschen, die dir wehgetan haben. Wieviel Sinn macht es, sich mit dem dir nicht nachvollziebaren und vielleicht kaum änderbaren Verhalten anderer Menschen immer wieder aufs Neuen auseinanderzusetzten?

Dann sehe ich die Möglichkeit, dass du deinen Focus versuchst, mehr auf die Dinge zu lenken, die dir gut tun. Auch da in dich hineinhorchst, und dir die positiven Dinge buchstäbich gefallen lässt. Es ist ein tägliches Stück Arbeit, aber ich glaube es kann helfen, zu belastenden Dingen Abstand zu bekommen.
Und an Ende, denke ich, ist es auch ein Stück eigene Identität, wenn du dir erlaubst, nicht in allen Dingen zu funktionieren, wie es dein Umfeld gern sieht...oder auch die erwachsene Tami. Auch das kann ein Stück Befreiung bewirken - wenn auch nicht zum Nulltarif, oder ? Manchmal sind die Entscheidungen schwer, und die Ängste größer als uns lieb oder bewusst sein mag.

MarliJo
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Ansa
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Re: Identität Scheidungskind

Beitrag von Ansa »

Liebe Tami,

ja es ist passiert und egal wie sich die Wahrnehmung in all den Jahren verändert, behalt das in Deinen Gedanken. Bei mir war es so, das ich irgendwann begann, alles aufzuschreiben, was passierte, denn an dem einen Tag passierte etwas und am nächsten behauptete mein Ex "was`n los, ich hab Dir doch nichts getan, immer bist Du so komisch!" Manipulation und weil ich so sehr an mir zweifelte, begann ich zu schreiben, wenn ich die Dinge heute lese (was ich nicht mache) dann bin ich immer noch erschrocken über das, was uns passiert ist.

Manches verändert sich im Lauf der Jahre, so sehe ich heute vermehrt Hilflosigkeit in seinem damaligen Handeln, aber die macht es nicht legitimer - nur verständlicher.

Du weißt, ich bin ein großer Fan der Individualpsychologie nach Adler und Dreikurs, mir gefällt der Ansatz dieser Art der Verarbeitung, während die Klassiker nach Freud immer in der Vergangenehit suchen und dann sagen "JA - jetzt weiß ich warum das so ist und das und das hat Dich so werden lassen wie Du bist" ist der Ansatz hier ein ganz anderer "Okay, so ist es im Moment, was möchtest Du ändern und wie kannst Du das umsetzen....." Für mich viel praktischer - ich muss nicht wissen, was meine Eltern damals antrieb, denn ich hab keinen Einfluss auf sie und die damalige Zeit, ich muss wissen, was ich heute will und dann hilft es mir, einen Weg zu finden, das auch zu tun. Denn meine Zukunft liegt ja im Morgen. Und allein die kann ich ändern, alles andere nicht.

Und aus der Individualpsychologie kommt eben auch dies "ich mag Dich aber ich kann nicht leiden was Du tust." Damit kann ich die Persönlichkeit des Betroffenen stehen lassen, ich greife ihn nicht an, sondern wir sehen schlicht auf die Handlungen und nö - die muss ich nicht alle mögen. Auch das was meine Kinder so tun mag ich nicht immer -muss ich auch nicht. Jeder kennt das. Aber bei meinen Eltern war es so "Was bist Du für ein dummes Kind, immer machst Du alles falsch, aus Dir wird nie was werden.... oh Du meine Güte, ich glaub es ja nicht." Was war passiert? der Kuchen war im Ofen verbrannt, weil ich vergessen hab, den Wecker zu stellen. Also - meinem Kind passiert das Gleiche - und nach Adler sag ich dann "Ach je, wie schade - was ist passiert. Du hast Dir so viel Mühe gemacht, lass uns mal sehen, warum es schief gegangen ist." Während das mein erster und letzter Kuchen war, backen meine Mädchen heute gern. Die Beziehungsebene stehen lassen - ist so wertvoll.

Es hat ihnen auch ermöglicht, Papa zu lieben, und seine Handlungen von ihm zu trennen. Es ist gut und richtig, das sie Papa lieb haben und mögen, aber das was er tut muss ihnen nicht gefallen.

Und ja, für uns ist das eine Haltung geworden, denn sie ermöglicht uns auch einfach nachsichtig zu sein und nicht alles in Frage zu stellen, denn die Schmerzen bei einer Verurteilung sind nicht da, weil es die in dem Gesamtumfang nicht gibt. Nicht Papa ist doof - sondern nur sei Tun. Das macht so viel aus. Ich darf sauer sein, auf das was passiert ist und ich muss gar nicht sauer auf Papa sein, dazwischen liegen Welten. Keine innerliche Distanz zu der Person - nur zu ihrer Tat.

By the way, es funktioniert auch wunderbar in der sozialen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Selbst im Kindergarten "Also, ich find Dich ja so nett aber das Du Deine Taschentücher auf den Boden wirfst mag ich gar nicht" verändert unglaublich viel im Umgang. Man muss das vielleicht einfach mal zu Ende denken?

Liebe Grüße und einen guten Tag an Euch
Ansa
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Re: Identität Scheidungskind

Beitrag von tarsshaft »

liebe tami!

weisst du, das mit der inneren distanz, das ist kein dauerhafter zustand, denn wie du richtig sagst: die menschen, die uns verletzt haben, lieben wir trotzdem und deshalb koennen und sollen wir uns auch nicht von ihnen distanzieren, sondern nur von dem, was sie getan haben. dem verletzten kind in uns muessen wir klar machen, dass die verletzung nicht absichtlich geschah. so wie es ansa sagt: dass man die verletzt, die man liebt, und nicht immer alles richtig macht, das ist menschlich und auch eine mutter oder ein vater duerfen fehler machen.

wie schafft man das mit der distanz? ich glaube, dass wir scheidungskinder, sobald es um die scheidung unserer eltern geht, automatisch wieder zu dem kind werden, das wir damals waren. und damals waren wir hilflos und deshalb, weil dieses innere verletzte kind in uns in eben diesen momenten zu uns spricht, verlieren wir fuer den moment unser erwachsenes ich. das ist ein ich, das zeit hatte zu reifen und das in der welt unabhaengig seine entscheidungen trifft und sein leben gestaltet, ohne allein, sondern all-ein zu sein. diesen automatismus gilt es zu erkennen und dann zu durchbrechen. heute, als erwachsene, sind wir nicht mehr hilfos. wir sind nicht mehr das kind.

weiter gilt es zu erkennen, dass wir weder fuer das glueck noch fuer das unglueck unserer eltern verantwortlich sind. natuerlich tut es mir leid, wenn meine eltern leiden. aber dieses leiden darf nicht zu meinem leiden werden. ich muss meine eltern nicht nur wie eltern sehen, sondern auch wie zwei erwachsene, die ein eigenes leben haben, fuer das nur sie verantwortlich sind. so wie paare, die sich trennen und die dann eltern- und partnerebene trennen muessen, so muessen wir kinder eltern- und erwachsenenebene trennen.

tami, sich distanzieren heisst nicht, denjenigen nicht mehr zu lieben. es heisst nur, dass du akzeptierst, dass derjenige sein leben eigenverantwortlich gestaltet. und es heisst, dass du dies demjenigen auch zutraust. inwiefern er oder sie das dann tatsaechlich realisiert, liegt nicht mehr in deiner hand. und eben das spricht dich von der gefuehlten verantwortung frei, die eine innere distanz verhindert.

bis bald, tarsshaft
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Re: Identität Scheidungskind

Beitrag von Tamara22 »

Hi Ihr,

ich mag mal eben meinen Dank an euch schicken für die Resonanz und Präsenz und Offenheit und die verschiedenen Blickwinkel.
In mir ist es derzeit so unheimlich laut, abwertend und selbstzerstörerische Gedanken und ich glaub ich muss da einfach erstmal dicht machen.
Nix mehr reinlassen, bis da wieder Ruhe einkehrt. Mein Kopf macht da zuviel grade und ich kriege Magenprobleme, die immer schlimmer werden.
Also versuch ich ein stop, da bin ich wirklich nicht gut drin, aber ich versuchs...und melde mich wieder...später.

Tami
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Re: Identität Scheidungskind

Beitrag von Ansa »

Du weißt ja, das wir hier sind, nimm Dir alle Zeit, die Du brauchst.

Alles Liebe
Ansa
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Re: Identität Scheidungskind

Beitrag von Tamara22 »

Puh...ich bin rausgeklettert aus dem Eiswasser, grade noch so.
Es hat mich unheimlich viel Kraft gekostet. Das war schmerzhaft kalt und düster und bedrohlich, gefühlt lebensbedrohlich...
Und ich hab das hingekriegt und das tut gut.

Ich schaff es auch in nullkommenix da wieder rein, nur dass ich jetzt spüre wo der Knopf ist und es schaffe den nicht zu drücken.
Und noch wichtiger ich weiß in welcher Situation der gedrückt wurde und wohin die gehört.
Das entlastet mich grade sehr.


Ich habe mir einen Stapel Bücher bestellt, lese da querbeet und das tut mir gut.

Eine schöne Formulierung daraus mag ich mit euch teilen : "die Eltern von damals"
Sie hat grade große Wirkung auf mich.
Es antwortet das Leben, wenn ich genau hinhöre. wach bin, mich wachmache und da liebe-voll mir gegenüber sein kann.
Eine gute Erfahrung mit mir :-)

Sonnig-windige Grüße an euch
Tami
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Re: Identität Scheidungskind

Beitrag von sonnenschein2 »

Liebe Tami,
es ist so schön wieder von dir zu lesen. Was ist mit der von dir zitierten Formulierung gemeint? Und was macht das mit dir?
Ich wollte dir noch erzählen, dass ich versuche mit deinen Worten und Beschreibungen zu arbeiten. Es braucht wirklich alles seine Zeit. Womöglich habe ich als Mutter zu wenig Geduld mit dem Kind, das mir nach 8 Jahren sagt, dass es die Trennung der Eltern noch schmerzt...Gedanken schießen mir durch den Kopf. Wie kann ich unterstützen? Zuhören, da sein? Ich will Lösungen, Erklärungen finde. Vielleicht der falsche Weg? Vielleicht ist es besser still zu sein und den Schmerz anzunehmen und auszuhalten?

Fühl dich sorgsam bedacht
Sonnenschein2
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