Hallo zusammen,
jetzt habe ich eine ganze Weile überlegt, ob ich hier was schreibe oder nicht, aber manche Dinge haben mich auch sehr berührt, und ganz am Ende will ich dann vielleicht auch noch etwas positives sagen.
Als ich den Eingangspost gelesen habe, musste ich an meinen Bruder und mich denken. Ich war neun als er zur Welt gekommen ist.
Tatsache ist, dass er nicht mal ein Halbgeschwisterchen ist, aber er trotzdem für mich eine schreckliche Konkurenz war.
Dass er da war hat mein Leben auf eine für mich schlimme Art verändert.
Mir wurde immer gesagt wie schön es doch ist, dass ich jetzt einen Bruder habe, dass wir eine ganz besondere Verbindung zueinander haben, die uns nie jemand weg nehmen kann und die für immer hält. Dass ich ihn doch lieb haben muss, einfach weil das bei Geschwistern so ist.
Ich hab das nicht kapiert und kapiere die Aussagen meiner Eltern ehrlich gesagt bis heute nicht.
Für mich war es nicht "schön", dass er da war. Dass er da war hat für mich bedeutet, dass meine Mum weniger Zeit für mich hatte. Dass sich alles plötzlich nur noch um ihn gedreht hat. Dass ich still sein musste, wenn er geschlafen hat. Je älter er wurde umso schlimmer wurde es. Zum Beispiel wenn wir gegessen haben - er durfte sich dann als erstes nehmen was er wollte, und dann erst war ich dran. Wenn er sich dann alle Tomaten genommen hat, ja dann hatte er halt alle und ich musste ohne Tomaten leben. (Ich hab heute noch einen schrecklichen Futterneid!). Wenn er Sachen von mir zum Spielen haben wollte, dann sollte ich ihm die geben, auch wenn ich nicht wollte, dass er sie kaputt macht. Ich hätte gerne einen Euro für jedes Mal, das ich gehört habe "Du bist doch jetzt die Große, du musst vernünftig sein!" - dann hätte ich wohl echt keine Geldsorgen.
Damit will ich nicht sagen, dass es wo anders oder bei euch auch so läuft, ich denke mir dass es genau nicht so ist. Ich will nur unterstreichen, dass es für mich nicht "schön" war, einen Bruder zu haben.
Durch den großen Altersunterschied konnte er mir nämlich auch nichts zurück geben. Ich konnte nicht mit ihm spielen, ich musste auf ihn aufpassen, die Große sein. Er hat mir auch keine Bilder gemalt oder was gebastelt, da haben immer nur Mama und Papa was bekommen. Von der angeblichen Verbindung die wir haben sollten, habe ich nichts gespürt außer dass ihm von unseren Eltern beigebracht wurde, dass er eine große Schwester hat und die ist immer und bedingungslos für ihn da. Aber er hatte mir tatsächlich nichts zu bieten.
Je älter ich wurde, umso weiter hab ich mich von ihm entfernt, und ja ich würde auch sagen, ich hab ihn ignoriert.
Ich weiß, dass ich kein einziges Mal seine Windeln gewechselt hab, ich hab ihn nie gefüttert, als er noch ein kleines Kind war.
Ich hab ihn dann später ab und zu ins Bett gebracht, aber auch nur wenn unsere Eltern ausgehen wollten und ich sozusagen Babysitten musste.
Ich hab ihn genauso ignoriert wie die Tochter deines Liebsten das macht. Für mich war er nur eine Nervensäge, eine Belastung, aber keine Freude.
Ich habe an der Stelle eine Frage, weil mich das wirklich interessiert, meine Eltern kann ich nicht fragen, aber euch!!!
Warum glaubt ihr denn, dass ein älteres Kind sich über ein Geschwisterchen freut? Was hat das ältere Kind "schönes" davon, dass jetzt ein Geschwisterchen da ist?
Bei uns ist es so weiter gegangen, dass ich jahrelang eben einfach nicht mal ne schlechte sondern einfach keine Beziehung zu meinem Bruder hatte (vielleicht ist das sogar besser als eine schlechte Beziehung zu haben).
Oft hab ich mich über unsere Eltern geärgert, weil sie ihm mehr ermöglicht haben als mir, weil es ihnen dann einfach finanziell besser ging. Er hat so viele Dinge bekommen, auf die ich verzichten musste, weil kein Geld da war: Karatekurs, Motorradführerschein, Motorrad...
Ich sollte an dieser Stelle erwähnen: Ich habe immer klar gewusst, dass mein Bruder für das alles gar nix kann und die meisten Dinge, die ich als ungerecht emfpunden habe, an unseren Eltern lagen. Aber auch obwohl ich älter wurde und nichts mit ihm zu tun hatte, war sein Dasein nix "Schönes" für mich. Ich hatte keinen Bezug zu ihm, keine gemeinsamen Interessen, wenn dann hatte ich eben Ärger weil ich etwas ungerecht fand.
Als ich 19 war bin ich von zu Hause ausgezogen und hatte GAR KEINEN Kontakt mehr zu meinem Bruder außer kurz beim Essen wenn ich meine Familie besucht habe.
Und jetzt kommt das große ABER!!! (kann man das hier irgendwie größer machen? Das geht gar nicht so groß wie ich es gerne hätte!)
HEUTE ist mein Bruder einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben und einer der am besten Bescheid weiß wie ich mich fühle. Dass ich einen neuen Freund habe, der verheiratet ist und zwei Kinder hat, wusste mein Bruder früher als meine Eltern zum Beispiel. Wir chatten regelmäßig, ich freue mich über seine Anrufe, dieses Jahr war er zum ersten Mal auf meiner Geburtstagsfeier und ich auf seiner und beide Parties waren so mega-genial, dass wir bestimmt in zehn Jahren noch zusammen drüber reden.
HEUTE wird mir nur warm ums Herz, wenn ich an meinen Bruder denke, und ja heute liebe ich ihn wirklich und wenn es mir richtig schlecht geht, dann ist einer der lautesten Gedanken in meinem Kopf "Ich will zu meinem Bruder!"
Aber dazu musste Zeit vergehen. Dazu mussten wir beide zu Menschen werden, die etwas miteinander anfangen können.
Das hat so angefangen, dass mein Bruder snowboarden gelernt hat und ich ihn dann irgendwann einfach mal mit zu mir genommen habe nach einem Weihnachten, damit wir zusammen in die Berge fahren können. Wenn ich zu Besuch bei der Familie war hab ich ihn oft gefragt ob er mit mir eine Runde Motorrad fährt, weil wir das beide lieben, ich aber keinen Schein hab - und er hat mir den Gefallen dann getan. Irgendwann hat er mich dann mal zum Oktoberfest besucht - und seit diesem ersten Mal macht er das jedes Jahr (und die Interessen haben sich mittlerweile von Achterbahnfahren zu Biertrinken verschoben *hihi*). Wenn es geht, besucht er mich jedes Jahr zwischen Weihnachten und Silvester zum Snowboarden. Und mittlerweile auch unter'm Jahr einfach so.
Auch das hat Zeit gebraucht, war anfangs seltsam, weil ich nicht wusste worüber ich mit ihm reden soll, was ich mit ihm anfangen soll. Es geht ja nicht nur darum etwas zusammen zu unternehmen sondern auch über etwas reden zu können.
Irgendwann dann Abi - ein gemeinsames Thema.
Dann Studium, Arbeit, gemeinsame Themen.
Plötzlich sein erster Liebeskummer. Absolute Loyalität der großen Schwester - seit dem sprechen wir über Beziehungen.
Seit dem fragt er mich regelmäßig wie es mir geht und versichert mir, dass er immer für mich da ist. Und tatsächlich ist er das auch.
Mittlerweile reden wir über Gefühle, vertrauen einander. Wenn ich was hab, dann schreib ich ihm.
Ich kann auch mittlerweile mit körperlicher Nähe zu ihm anders umgehen, seine Umarmungen genießen, mich bei ihm anlehnen und das entspannend finden.
Und ja mittlerweile kann ich denke ich auch diese wunderbare Bindung zwischen Geschwistern spüren. Aber - dazu musste er erst 21 und ich 30 werden!!!
Ich weiß nicht wie es für meine Eltern war das zu sehen und das auszuhalten. Meine Mutter sagt trotz allem, dass ich eine "gute große Schwester" war.
Aber sie sagt auch oft "wenn du ihn nich haben wolltest, hab ich dich halt machen lassen".
Ich betone nochmal, dass er nicht mal ein Halbgeschwisterchen ist. Damit will ich sagen, dass das Verhalten der Tochter deines liebsten vielleicht nicht ausschließlich darauf zurück zu führen ist. Ich wollte aber mal MEINE Sicht hier darstellen. Vielleicht will ich ein bisschen Verständnis für eine große Schwester erreichen. Und vor allem würde mich eine Antwort auf die Frage interessieren, eben warum Eltern felsenfest davon ausgehen, dass ein kleines Geschwisterchen soooooo toll ist?
Alles in Allem:
Auch wenn es jetzt gerade bei euch richtig mies aussieht.
Es kann gut werden!! Auch wenn es vielleicht noch 20 Jahre dauert.