Guten Morgen ihr Lieben!
Da hier noch alles schläft (selbst Klein-Felix

) möchte ich die Ruhe nutzen, um meine Gedanken niederzuschreiben.
Ich habe mir all eure Beiträge einmal durchgelesen und dabei kam mir eine Begebenheit aus meinem Leben in den Sinn.
Vor einigen Jahren habe ich selbst eine Therapie gemacht, um meine Kindheitserlebnisse mit meiner alkoholkranken Mutter aufzuarbeiten. Es war ganz klar, dass irgendwann auch mein Vater ein Thema wurde.
Mein Vater verließ meine Mutter, als er hörte, dass sie mit mir schwanger war und kümmerte sich anschließend weder um meine Mutter, noch um mich. Das, was ich von ihm weiß, ist sein Name (weil er auf meiner Geburtsurkunde steht). Ich kenne seine Worte, mit der er die Beziehung zu meiner Mutter beendete und ich weiß, dass er starb, als ich ca. 4 Jahre alt war. Insofern bin ich zwar kein Scheidungskind, aber doch irgendwie auch ein Trennungskind, auch wenn ich mich nie als solches gesehen habe.
Nun ja - die Therapeutin fragte mich, welches Verhältnis ich zu meinem Vater hätte bzw. wie meine Gefühle für ihn seien. Ich antwortete spontan, dass ich keinerlei Gefühle für diesen Menschen hätte und schon gar kein Verhältnis zu ihm. Die Therapeutin bat mich, bis zur nächsten Therapiestunde, einmal in mich hinein zu horchen, ob da nicht doch etwas wäre. Also machte ich meine "Hausaufgaben". Ich stellte fest, dass ich diesen Menschen nicht mochte, weil er meine Mutter im Stich gelassen hatte und mich auch. Aber ich konnte und kann nicht von Hass reden. Es ist eher Unverständnis, das ich seinem Verhalten und ihm entgegenbringe.
Die Therapeutin fragte mich, ob mir bewußt sei, dass es mich ohne ihn nicht geben würde und ob ich ihm sein Verhalten nicht verzeihen könne bzw. ob ich ihn liebe könne. Auch darüber dachte ich lange nach (tue es manchmal heute noch).
Nein - ich kann ihm seine Gleichgültigkeit und sein Verhalten nicht verzeihen, bis heute nicht. Warum "zwang" er mich, durch sein Verhalten, ohne Vater aufzuwachsen? Warum durfte ich nicht, wie so viele andere Kinder einen Vater haben? Ich sehe u. a. sein Verhalten als Ursache für den Alkoholismus meiner Mutter und damit nahm er mir so viel von meiner Kindheit und meiner Mutter von ihrem Leben.
Und ebenfalls nein - ich kann ihn nicht lieben. Wie soll man einen Menschen lieben, den man nicht kennt? Nur, weil er mit dafür verantwortlich ist, dass man selbst lebt?
Verzeihen, das geht nicht so einfach. Das ist ein langer, manchmal schmerzhafter Weg, der hin und wieder (wie bei mir) nicht zum Ziel führt. Für mich bedeutet Verzeihen auch, Reue und ob es meinem Vater leid tat, das werde ich nie erfahren. Gleichzeitig bedeutet es aber für mich auch, dass ich diese Gefühle in mir tragen werde, bis ich eines Tages vielleicht doch in der Lage bin, zu verzeihen und sein Verhalten so anzunehmen, wie es nun einmal war.
Weder er noch ich können das Geschehene ungeschehen machen, wir können die Zeit nicht zurück drehen und noch einmal von vorn beginnen. Es liegt allein an mir, meine Wunden heilen zu lassen und ich spüre, während ich dies hier schreibe, dass sie immer noch tief sind.