Guten Morgen,
da fällt mir eine Begegnung von gestern ein, ich war mit meiner Tocher beim Optiker.... vor uns eine Familie, Vater, Mutter und eine, ich schätze mal so etwa 17 jährige Tochter. Mama wollte sich ein Brillenetui aussuchen und fand ein hochglänzendes stahlfarbenes Etui total schön. Vater "Also, wenn es Dir gefällt." Schulterzuckend; Tochter "na ja, Mama, das ist doch eher etwas für männliche Brillenträger, sonst ist es schon sehr schön." Mutter schaut, legt das Etui hin und sucht weiter, am Ende nahm sie ein klassisches, eher langweiliges Etui aus mittelbraunem Leder. Sagt meine kleine Tochter hinterher zu mir (naja, so klein ist sie nicht mit ihren 12 Jahren) "sag mal Mama, gibt es Etuis für Männer und Frauen? So für Kinder, wenn sie rosa oder pink sind, aber wenn ich erwachsen bin, kann ich doch nehmen was mir gefällt, oder?" "Na klar," sag ich "weißte doch, alles was Du wirklich tun willst kannst Du ausprobieren und alles was Dir gefällt, so wirklich gut gefällt, kannst Du mal haben, wenn Du es wirklich willst."
Weibliche und männliche Anteile, ich glaube vieles dieser Anteile hat mit Erziehung zu tun. Rollenspezifische Erziehung ist nach wie vor das Nonplusultra und leider muss ich dazu sagen, scheint es mir so, als wären die meisten Frauen (und Mütter!) da sehr fest gefahren. Sie wollen zwar Chancengleichheit, setzen es aber nicht um. Das beginnt mir der Farbwahl im Kinderzimmer, mit der Auswahl von Spielzeug. Bekommen kleine Jungs vielleicht einen Nickyplüschhund, bekommen kleine Mädchen ihr erstes Püppchen. Selbst Lego, das in meiner Zeit noch unisex war, ist heute fein aufgeteilt in rosa Shoppingwelten für Mädchen und ich schwarze Weltraumwelten für Jungs. Kein Junge würde mit rosa spielen..... als meine kleine Nichte von ihrer Oma ein Playmobilfeuerwehrauto bekam, bekam meine Schwägerin einen Tobsuchtsanfall, das sei JUNGENSPIELZEUG! Ich hab gedacht ich sink ins Koma.
Will das kleine Mädchen seinen Willen durchsetzen, hört es "Du, ein liebes Mädchen tut das nicht!" und der kleine Junge erlebt vielleicht, das er reglementiert wird, liest aber aus der Körpersprache der Erwachsenen etwas anderes, nämlich "ach, der wird sich später mal durchsetzen, prima." Meine Nichten durften die Rutsche nicht falsch herum raufklettern, Mädchen tun das nicht!
So entwickeln sich diese Anteile nicht unbedingt zufällig mehr oder weniger, sondern sie werden gefördert, immer und immer wieder. Mit Büchern, Geschichten und Filmen (schaut doch mal auf die weiblichen Figuren, brav, hilflos und am Ende doch immer auf den Helden wartend), wieviele Ausnahmen gibt es? Pippi Langstrumpf und Ronja Räubertochter sind Ausnahmen, aber auch Ronja wird zwischendurch von ihrem Björka gerettet, vermutlich liebe ich das Aschenbrödel aus dem Film "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" deshalb so sehr....die ist mal frech und eigensinnig, selbstbewusst und bezaubernd..... Handeln die Bücher von Tieren, sind es zumeist immer männliche Tiere oder aber weibliche Eigenschaften werden gefördert, wie etwa in der Geschichte vom Findefuchs.
Und wenn ich mir meine Erziehung ansehe, dann ecke ich überall an..... "hör mal, wissen Deine Mädchen nicht, wie man anständig spazieren geht" sagte meine Freundin, als sie, damals war meine Älteste 8, die Kanalböschung runter und rauf kletterten. Oder auch "wenn Du sie weiterhin so toben lässt, dann haben sie später echt mal Probleme mit Jungs" und auch der Sohn meiner Freundin, der meine Große unbedingt mal heiraten wollte, nahm mit folgenden Worten davon Abstand "also, Mama ich glaub ich kann die Elvira nicht heiraten, weil weißt Du, die tut überhaupt nicht das, was ich ihr sage." Meine Freundin sprach ein ernstes Wort mit mir und war mir lange böse, derweil ich meinte, sie solle mal das Frauenbild, das ihr Sohn habe, kritisch überdenken.
Ich jage, das ist typisch männlich..... in der Vorstellung vieler bin ich ein Flintenweib, das in Grünzeug mit Springerstiefeln durch den Wald tobt (ich halte nur viel von sachgemäßer Kleidung); ich fahre gern schnell Auto und dadurch das ich viel fahre, fahre ich auch sehr versiert; ich hab einen Angelschein..... für meine Mädchen ist es "normal" das sie tun können, was sie wollen. Und doch haben sie Rollenvorstellungen, die Umwelt hat einen großen Anteil. Meine Cousine ist Ingenieurin bei VW, zwei Mädchen waren sie damals, in der Ausbildung zur Werkzeugmacherin, und 4 Mädchen im ganzen Studiengang. Ich bin froh, über diese Ausnahme.... zeigt sie eben doch, das manches nichts mit Mann oder Frau zu tun hat, sondern mit Lust und Neigung. Trotzdem empfinden sie sich als typisch weiblich, das ist gut so, denn so sehe ich mich auch.
Es gibt tatsächlich körperliche Unterschiede in der Entwicklung, das war Thema in meinem Studium und es wird zu wenig Rücksicht darauf genommen, die Jungs fallen grad runter.... es gibt zuviele weibliche Leitbilder für sie. Im Kindergarten und auch in der Grundschule sind männliche Betreuer oder Lehrer viel zu selten und wenn es sie gibt, unterrichten sie Werken, Sport und Mathe. Das ist nichts anderes als Prägung. Die körperlichen Unterschiede sind Teil der Natur, Entwicklungen verlaufen in unterschiedlichen Tempi, Jungen haben tatsächlich einen größeren Bewegungsdrang. Neueste Forschungen stellen dies fest. Sie sind gleichaltrigen Mädchen damit unterlegen, während diese lieb (ich hasse dieses Wort) im Unterricht sitzen, können Jungs das oftmals nicht und werden schon früh auffällig, nicht weil sie es sind, sondern weil ihre Entwicklung nicht berücksichtigt wird.
Ich bin klassiche erzogen worden, als Kind habe ich mir nichts mehr als einen Spielzeugbauernhof gewünscht, aber natürlich, ich bekam ein Puppenhaus. Mein Vater meinte ich brauche keine gute Berufsausbildung, ich würde mal heiraten und Kinder bekommen, eine Weiterbildung? Damit nähme ich Männern den Platz weg und vergeude Zeit und Geld.... so`n Schmarrn. Aber ich hab schon immer diese unspürbaren Unterschiede als zutieft ungerecht empfunden. Dies Getue um Stammhalter..... Himmel, weder verstand ich es als Kind, noch verstehe ich es heute. Hauptsache das Kind ist gesund. Als ich damals sagte, ich will Falkner werden, da haben mich alle Großen ausgelacht, damals war das eine reine Männerdomäne. Vermutlich war mein Wunsch, es zu werden, reinster Trotz, von wegen "na dann seht mal, das kann ich schon lange...." Ich war Ende 30 als ich mir diesen Kindertraum erfüllt habe. Von daher habe ich meine Kinder in jedem Berreich gefördert, von dem ich spürte, das er sie interessiert.
Aber, und das ist jetzt spannend, über 70 % der Frauen sind nach wissenschaftlichen Umfragen enttäuscht, wenn sie ein Mädchen bekommen..... für mich unfassbar...... ich kann das wirklich nicht begreifen. Und, auch neueste Forschungen haben ergeben, das Erzieherinnen zwar alle gleichwertige und selbstbewusste Kinder haben wollen, aber ein Kind, das widerspricht, das wollen sie alle nicht und eines, das einen eigenen Willen hat und vielleicht Kritik übt? Das will dann schon keiner. Aber wie will ich das miteinander vereinbaren?
Das läuft unbewusst ab, die Erzieherin macht laut eigener Aussage, keinen Unterschied zwischen Jungen und Mädchen. Hören wir ihr zu "ich muss mal ein paar Kartons in den Keller tragen, welcher starke Junge kann mir helfen?" Oder "ach wir müssen aufräumen, haben wir hier ein paar Ordnungspolizistinnen?" Aber sie macht keine Unterschiede...... sie war sehr erschrocken, als sie das Band hörte und begriff, wie sehr das in ihren Alltag integriert ist, wie wenig sie selbst das wahrgenommen hat. Ich diskutiere das mit meiner Tochter, die ja grad ein Praktikum im KiGa macht und sieht, wie sehr die Eltern ihre Kinder beeinflussen und wie sehr sie selbst das auch tut. "Oh Mama," seufzt sie dann "Immer musst Du alles anders machen."
und ging als Hausmeister in den Karneval.
Mein Liebster sagt, ich habe zuviele männliche Anteile, mit mir könne man sachlich reden und noch schlimmer, sachlich zanken.... ich würde nicht zickig werden und um mich beißen, sondern den Kopf behalten und Argumentativ meine Ziele verfolgen. Ich sei logisch, organisiert und dabei so ganz und gar fraulich, so was wie mich, das habe er sich immer gewünscht. Und ich, ich hab mir immer einen Mann gewünscht, der verschmust ist und einfühlsam, der zuhören kann und mit ich reden kann..... ich glaube wir sind anders. Unsere Freunde haben immer gesagt "Du bist ja sowas von kompliziert......oh je oh je" und komisch, der Liebste ist der unkomplizierteste Mann, der mir je begegnet ist, im übrigen sagt er das von mir auch.
Ich für mich mag diese Trennung zwischen weiblichen und männlichen Anteilen nicht so wirklich, ich bin wie ich bin und so wie ich bin, bin ich gut genug. Authentisch will ich sein und alle, die mir wirklich nah sind, von denen erwarte ich das auch. Ich muss mich nicht einigen, nur verstehen ist mir wichtig. Was für mich richtig ist, muss für meine Freundin nicht richtig sein, für die Kinder ist das mitunter schwer. Jugendliche sind so strikt, so schwarz oder weiß.... da haben wir viel Gesprächsstoff. Angepasst ist leichter, aber angepasst bedeutet auch oft genug, sich leben lassen.
Auf meinem Schreibtisch steht ein kleiner Text, auf lilafarbenem Tonkarton; mein Exmann hat ihn gehasst, mein Liebster lächelt über ihn und sagt "so viel Wahrheit in so wenig Worten, Du machst das Richtig mit Deinen Töchtern, bringen wir ihnen das Leben bei."
"Leichenrede"
als sie mit zwanzig ein Kind erwartete wurde ihr heirat befohlen
als sie geheiratet hatte wurde ihr verzicht auf alle studienpläne befohlen
als sie mit dreißig noch unternehmungslust zeigte wurde ihr dienst im hause befohlen
als sie mit vierzig noch einmal zu leben versuchte wurde ihr anstand und tugend befohlen
als sie mit fünfzig verbraucht und enttäsucht war zog ihr mann zu einer jüngern frau
liebe gemeinde
wir befehlen zu viel
wir gehorchen zuviel
wir leben zu wenig
Kurt Marti
Seit gut 16 Jahren steckt er immer irgendwo, wo ich ihn ab und an lesen kann.... so habe ich meine Mama gesehen und so wollte ich nie sein und schon deshalb möchte ich meine Neugier aufs Leben nie verlieren.
Euch liebe Grüße
Niana