Prägung

Hier finden Sie alle Themen, die in kein anderes Forum passen.
Benutzeravatar
Gerda
Moderator
Moderator
Beiträge: 3315
Registriert: 7. Juni 2005 22:06

Re: Prägung

Beitrag von Gerda »

Liebe Tarshaft,

danke, dass du mir von der Beziehung mit deiner Mutter geschrieben hast. Das klingt ja sehr erwachsen von deiner Seite aus. Da hab ich also einiges mißverstanden und bin ganz von deinem Thema weggekommen.

Wie schön, dass dein Freund dich so liebt! Ja, so geht doch eigentlich Liebe! Dass man einander wirklich sieht und so nimmt, wie der/die andere ist. Dass man es nicht auf sich bezieht, wenn eine tobt, sondern es vielleicht sogar sieht als Zeichen des So-seins des Menschen, mit dem man zusammen lebt, als Zeichen davon, ah, da ist er/sie also empfindlich. Dass man sich einander ungeschminkt zeigt, authentisch ist, ja, das ist ein wichtiges Wort, eine wichtige Haltung in Beziehung.

Das Nicht-glauben-können, dass Dein Partner dennoch anruft, auch wenn du dich so ungeschminkt und vielleicht auch mit nicht einfachen Seiten gezeigt hat - ich verstehe dich so, dass du es nicht glauben kannst, weil du bei deinen Eltern erlebt hast, dass etwas zur Trennung führte, und du hast Angst, dass es das "Authentisch-Sein" ist? Und vielleicht ist auch deine "Kindheitsstrategie, dass du ganz brav warst, nicht authentisch warst und glaubtest, dass du allerhöchstens dann geliebt werden, Anerkennung bekommen könntest und jetzt probierst du ein anderes Verhalten und das ist sehr verunsichernd und macht auch Angst?

Liebe Grüße
Gerda
"Unser wahres Zuhause ist der gegenwärtige Augenblick. Wenn wir wirklich im gegenwärtigen Augenblick leben, verschwinden unsere Sorgen und Nöte, und wir entdecken das Leben mit all seinen Wundern.“

Sei selbst die Veränderung, die du dir wünschst.
MarliJo

Re: Prägung

Beitrag von MarliJo »

Hi tarsshaft !

Ein spannendes Thema, was du in deinem Thread aufgemacht hast,, wie ich finde. Und dazu eine Fragestellung, die mir SO noch nicht bewusst war, wie sehr (und ob) Stiefkinder von den Stiefeltern geprägt werden/sich prägen lassen - also von Menschen, mit denen sie sich selbst nicht ausgesucht haben, Zeit zu verbringen.
Wennschon ich glaube, das Prägung in der Regel unbewusst und andauernd abläuft, denke ich auch, dass du es als damals junges Scheidungskind da schwer hattest, dich vorgelebten Verhaltensweisen zu entziehen, weil du keine andere Wahl hattest, als zu funktionieren. Vielleicht ist es Das, was sich für Dich aus heutiger Perspektive so unecht anfühlt und dich enttäuscht und wütend macht ?
Ich nehme es so wahr, das die heute erwachsene tarsshaft etwas mit dem Kopf zu klären versucht, was die "kleine" tarsshaft in dir vielleicht aber gar nicht mitmachen kann und dich dies in einen Konflikt treibt, den du versuchst auf die "Schuldigen" umzulenken. Ich finde das legitim, weil deine erwachsenen Bezugspersonen damals (wie heute?) versäumten, dich zu fragen, wie es dir mit dieser oder jenen Sache geht und zu fördern, was du brauchtest.
Ob all Das, was dein Stiefvater oder deine unzufriedene (überforderte ?) Mutter an dir und "für" dich taten an "negativen" Einflussnahmen, gleichzeitig das "Negative" in dir geprägt haben, weiß ich nicht. Ich glaube, dass sich ein Kind unbewusst oder unbewusst auch zur Wehr setzt gegen dass, was es nicht will und somit Prägung sozusagen "umleitet" , so das am Ende doch eine eigene Persönlichkeit herrauskommt. Das bist du mit all den Erfahrungen, die dich geformt haben.
Dieses Gegenüberstellen deiner Bezugspersonen (Stiefvater -Vater/Mutter...) finde ich "gefährlich", ehrlich gesagt. Es mag schon sein, dass dir dein Stiefvater nichts/oder sehr wenig mitgegeben hat, worauf du mit Freude blicken könntest, und sicher hat er da aus deiner Sicht versagt und verdient es nicht ernst genommen zu werden.
Gefährlich deshalb, denke ich, weil es dich immer wieder in eine Sackgasse führt - du wirst ihm mehr oder weniger unbewusst vermutlich immer die "unnützen" Anteile deines geprägt seins zuschustern, während du dir guten Anteile bei deinem Vater siehst, die er dir aber nicht mitgegeben hat/mitgeben konnte ? Ich kann mir vorstellen, das es zu einer Belastung wird, damit zu leben - weiterzuleben.
Was spielt dein Vater denn eigentlich für eine Rolle in deiner Prägung - was hat er dir mitgegeben oder was hättest du dir gewünscht ? ( Musst du hier natürlich nicht aufschreiben).

Prägung abschütteln ist glaube ich unsagbar schwer, sonst wäre es keine Prägung. Aber Verhaltensweisen, die einem andere vorgelebt haben und die man - wie du- selbst beurteilen und einordnen kann, das ist etwas, was man nicht übernehmen braucht oder ablegen kann im Laufe der Zeit.
Es gibt ja immer wieder Dinge im Leben, die einen mehr oder minder prägen und aus denen man sich seinen ganz individuellen Erfahrungsschatz zusammenstellt. Dazu gehören auch die Dinge aus deiner Vergangenheit, selbst wenn sich das für dich heute alles "schief" anfühlt.
Könntest du dir vorstellen, zu versuchen, das irgendwie in für dich positiv anfühlende Bahnen umzulenken ?

Am Ende möchte ich noch sagen, dass es bei mir meine Mutter war, die auf mich - so muss man es wohl sagen - versucht hat eine prägende Wirkung auszuüben. Sie hat immer gesagt/vermittelt, was "richtig" ist und wie zu leben sei - ein rechts oder links daneben gab es kaum. Herausgekommen bei dieser "Prägung ist eher das Gegenteil von dem, was sie erreichen wollte. Heraus kam :Widerstand leisten.
Das mein Vater mich auch gerägt hat, obwohl er weitaus weniger präsent war, hab ich erst vor wenigen Jahren richtig gemerkt. Er hat Zutrauen gehabt und ausprobieren lassen, was ich wollte mit weiter gefassten Grenzen,... mit begleitenden oder auch gut gemeinten Worten.
Vielleicht entdeckst du ja auch etwas, wo dir eigene (kindliche) Kompetenz zugetraut wurde und die du für dich nutzen kannst im Heute ?!

Liebe Grüße
MarliJo
tarsshaft
Forumsprofi
Forumsprofi
Beiträge: 282
Registriert: 2. Juli 2007 15:26

Re: Prägung

Beitrag von tarsshaft »

Hallo Gerda!

Bei meinen Eltern hat gerade das "Nicht-authentisch-sein" zur Trennung geführt. Keiner der
beiden hat mit dem anderen über seine Gefühle gesprochen, sie hatten nicht gelernt,
sich in andere hineinzufühlen, so haben sie aneinander vorbei und sich auseinandergelebt.
So sehe ich das aus heutiger, erwachsener Sicht.

Ja, ich habe als Kind "gegen mich selbst" gelebt, indem ich gelernt habe darauf zu achten,
was meine Mutter, mein Vater, mein Stiefvater wollen, dieses dann umgesetzt habe in der
Hoffnung, Anerkennung und Liebe zu bekommen. Ich werfe allen dreien vor, dass sie
von mir als Kind erst etwas gefordert haben und mir dann erst ihre Liebe schenkten. Mein
Vater hat zwar immer darüber geschimpft, dass er uns so wenig sah und so wenig
von unserem Leben mitbekam, dennoch hat er sich, wenn es denn dann mal ernste Themen
uns betreffend zu besprechen gab (z.B. als ich mein Studium schmeißen wollte), dann
hat er sich gern aus allem rausgehalten. Aus heutiger Sicht denke ich, es wäre das beste
für alle gewesen, wenn alle drei mit dem Kinderkriegen gewartet hätten und erst einmal
bei sich "aufgeräumt" hätten. Aber die Zeiten waren eben andere.

Seitdem ich angefangen habe, die Zusammenhänge zu durchschauen, habe ich angefangen,
authentisch zu leben. Ja, vielleicht ist damit auch eine Angst verbunden. Die Angst,
ich könnte dann nicht geliebt werden. Andererseits ist es mir von meiner gesamten
Persönlichkeit her nicht möglich, nicht authentisch zu sein. Da bin ich auch sehr
empfindlich, was andere angeht, und ich ertrage nicht-authentische Menschen nur sehr
schlecht. Eine gute Entwicklung, wie ich finde.

Der Austausch mit dir tut mir gut.

lg tarsshaft
Das Heute leben, das Kommende erwarten, das Vergangene nutzen.
tarsshaft
Forumsprofi
Forumsprofi
Beiträge: 282
Registriert: 2. Juli 2007 15:26

Re: Prägung

Beitrag von tarsshaft »

Hallo MarliJo!

Schön, mal wieder von dir zu lesen! Hat mich gefreut.

Jeder von uns wird in seinen ersten Lebensjahren geprägt. So sieht es die Evolution vor.
Sich dagegen wehren oder gar - ob nun bewusst oder unbewusst - Prägung umleiten, ist
aus verschiedenen Gründen nicht möglich. Zum einen, weil Umleitung hieße, dass wir eine
Alternative kennen. Doch wir stehen erst am Anfang unseres Lebens, deswegen ist
Prägung ja auch so wichtig. Sie soll uns unser "Ausgangsmaterial" an die Hand geben,
mit dem wir dann im Heranwachsen zu arbeiten anfangen und unsere Persönlichkeit
ausbilden. Zum anderen kann ein junger Mensch Prägung nicht umleiten, weil das hieße,
er würde verstehen, DASS er gerade geprägt wird, würde Zusammenhänge erkennen, analysieren
und sich dann bewusst entscheiden, dass er es anders machen möchte. Dass ein Kind dazu
nicht fähig ist, müssen wir glaub ich nicht diskutieren. Wahrscheinlich hast du bei
diesem Gedanken Situationen im Kopf gehabt, in denen Kinder nicht tun, was ihre Eltern
verlangen, sondern sie reagieren trotzig und tun etwas anderes oder genau das Gegenteil.
In diesem Fall versuchen sie aber nur, Grenzen auszuprobieren, Möglichkeiten zu erforschen
und vor allem, Reaktionen der Erwachsenen auszutesten. Das ist kein Umleiten
von Prägung, vor allem, weil die Erwachsenen ja deshalb nicht plötzlich alles anders
machen, nur weil es dem Kind nicht passt. Zumindest, wenn sie konsequent sind.

In vielen Punkten hast du aber Recht. Ich genauso wie jedes andere Kind hatte keine andere
Wahl. Gut, in meinem Fall müssen wir wohl von funktionieren sprechen, weil die Umstände
eben durch die Scheidungssituation nicht "normal" waren, wie es die Evolution vorsehen
würde: demnach zieht das Elternpaar den Nachwuchs groß und bringt ihm möglichst richtig bei, was er zum
(Über-)Leben braucht. Da unterscheiden wir uns nicht vom Tierreich. Bleibt die Tatsache,
dass das Kind keine Wahl hat. Das ist auch richtig, denn es hätte gar nicht die
Fähigkeit zu wählen.

Ja, es klingt natürlich immer so, als würde ich alles Leid auf meinen Stiefvater schieben.
Ich gebe zu, dass ich das sicher oft tue. Ich sehe es aber heute auch differenzierter. Er
hat sicher einen großen Anteil, aber ebenso meine Mutter und mein Vater. Aus objektiver
Sicht betrachtet ist mein Stiefvater aber eben auch "unerträglich". Das sagen Menschen,
die persönlich nichts mit ihm zu tun haben (wie z.B. Therapeuten, Hausverwalter, Nachbarn).
Auch meine ehemaligen Partner haben allesamt das gleiche über ihn gesagt. Er ist eine
komplett verkorkste Person, die sich grundsätzlich als Opfer sieht, das nicht geliebt und
ungerecht behandelt wird, alle anderen sind grundsätzlich gegen ihn, er ernährt sich schlecht,
er wird richtig körperlich krank, wenn meine Mutter anderen mehr Aufmerksamkeit widmet als ihm...
Er IST leider tatsächlich unerträglich - ob Stiefvater oder nicht. Ich brauche nicht zu
erwähnen, dass er mit der halben Nachbarschaft im Klinsch liegt und kaum Freunde hat?! Meine
Mutter lädt auch kaum noch jemanden ein, weil er sich dann immer daneben benimmt. All das
macht es mir schwer, "neutral" über ihn zu denken und zu schreiben. Ich sage aber nicht, dass
alles Schlechte von ihm kommt und von meinem Vater nur Gutes. Wie gesagt, mein Vater ist und
war ein Meister, sich aus allem rauszuhalten. Von daher war die Trennung von seinen Kindern
sogar von Vorteil, denn mit den Alltagssorgen schlugen sich vor allem meine Mutter, aber auch
mein Stiefvater mit herum. Was habe ich nun von meinem Vater? Hmm...genetisch viel, wir
sehen uns ähnlich (Augenfarbe, Mundform, Haare glatt, Mama hat Locken, die hat auch mein Bruder,
wir haben laut Aussagen anderer denselben Gang)...Prägung? Hmmm...ich glaube, er hat mich
kaum geprägt, weil ich ihn ja nur 1 bis 2x im Monat sah...

Wie definierst du Prägung und wie Verhaltensweisen? Prägung heißt für mich, der Erwachsene
macht etwas in einer bestimmten Art und Weise und ich als Kind übernehme das als Verhaltensweise.
Später kann ich diese Verhaltensweise vielleicht korrigieren, die Prägung, also der
Automatismus, bleibt, glaube ich.

Es klingt nett von dir, deine Frage, ob ich der "schiefen" Vergangenheit nicht auch was
positives abgewinnen könnte. Das fällt mir sehr schwer, vor allem im Moment, da die
Vergangenheit wieder zu stark in die Gegenwart hereinspielt. Weißt du, meine Mutter hat
ja immer noch dieselben Probleme mit meinem Stiefvater wie eh und je...sie bewegt sich
nicht, er bewegt sich nicht...ich bin damit aufgewachsen, kenne es gar nicht anders,
und immer hat es mich belastet...nur kann ich es nicht lösen, ich muss es aber aushalten,
es ist da, sobald ich mit irgendeinem aus der Familie Kontakt habe oder auch nur daran
denke...ich bin jemand, der Probleme direkt angeht und Lösungen sucht...der Rest meiner
Familie sitzt lieber aus...wenn´s sein muss, das ganze Leben...wenn ich gerade nichts
mit meiner Familie am Hut habe, z.B. mit meinem Freund im Urlaub bin, dann ist alles
leicht...meine Familiengeschichte ist für mich etwas, das belastet. Das wird es tun,
solange sich die anderen nicht bewegen...es reicht eben nicht, wenn nur ich mich bewege..

Mir wurde nicht viel zugetraut, sondern viel zugemutet...also kindliche Kompetenz nicht,
aber Überforderung von klein auf...keinerlei Hilfe, als ich
klein war, keinerlei Hilfe als ich größer wurde, stattdessen musste ICH helfen, indem
ich mir den Sermon meiner Mutter anhörte...

soweit meine Gedanken...lg tasshaft
Das Heute leben, das Kommende erwarten, das Vergangene nutzen.
Bolz
Schnelltipper
Schnelltipper
Beiträge: 166
Registriert: 11. September 2009 08:02

Re: Prägung

Beitrag von Bolz »

Hallo Tarshaft,

vilen lieben Dank für Deinen Hinweis auf meine manchmal rauhe Art. Du hast Recht, ich bin manchmal ruppig, aber das hat auch einen Grund.

Ich erlebe sehr häufig, dass Menschen, die sich in einer Sackgasse befingen und sich mit Problemen herumschlagen die schwer lösbar sind, sich weiter in diese Probleme verstricken, wenn man beipflichtet und bestätigt, wie schwer sie es haben.

Leider nützt das bei Problemen die man allein nicht ändern kann ( es nützt nichts, wenn nur Du Dich bewegst hast Du schön gesagt ) meistens nichts. Ich habe erlebt, dass es solchen Menschen meist weiter hilft, wenn man sie "ein bisschen anzeckt" und ihnen klar sagt: jetzt aber, jammern nützt nichts.

Ich habe in den letzten 5 Jahren durch eine von Hass zerfressene Exfrau soviel eingesteckt, dass es meine Kräfte so sehr geschröpft hat, dass ich inzwischen ziemlich krank bin. Daher bin ich wirklich manchmal etwas schroff, wenn ich Scheidungskinder klagen höre. Bei den Erwachsenen wird nämlich wirklich jedes Problem damit abgetan, "DU hast doch gewußt auf was Du Dich einlässt".

Ich bitte daher um Verzeihung wenn Du Dich schroff behandelt fühltest, es war wirklich in meiner Absicht Dir denselben Rat zu geben den ich mir selbst immer vorbete: Weitermachen, Vergangenheit lässt sich nicht ändern.

Lg
Bolz
tarsshaft
Forumsprofi
Forumsprofi
Beiträge: 282
Registriert: 2. Juli 2007 15:26

Re: Prägung

Beitrag von tarsshaft »

Hallo liebe Bolz!

Finde ich toll, dass du meine Anmerkung so selbstkritisch angenommen hast! Ich kann verstehen, dass auch deine "Seite", also die Zweit- und Dritt-Mütter und -Väter, unter Umständen sehr unter dem Thema zu leiden hat. Ein lapidares "Du hast es doch wissen müssen..." ist nicht nur nicht hilfreich, sondern auch sehr dumm.

Tut mir leid zu hören, dass du so unter der Ex leiden musst und sogar krank deswegen wurdest! Wenn eine Seite sich nicht normal verhält, dann müssen die anderen darunter leiden - das ist so ungerecht, denn man ist ja zwangsläufig miteinander verbunden, ob man will oder nicht...ich würde den Kontakt zu meinem Stiefvater am liebsten kappen, aber da er der Mann meiner Mutter ist, zu der ich Kontakt halten will, klappt das nicht. Manchmal sehr unbefriedigend. Geht dir sicher genauso mit der Ex.

Ich höre am liebsten dann zu, wenn ich das Gefühl habe, dass man mich ernst nimmt und freundlich mit mir redet. Bei Unhöflichkeit oder Gezicke breche ich das Gespräch ab. Ich finde es immer toll, wenn jemand ganz klar sagen kann: "Das war nicht gut. Tut mir leid." Da kann man doch dann gar nicht anders als verzeihen, oder? ,)

Ja, weitermachen, die Vergangenheit lässt sich nicht ändern, nur nutzen. Nutzen für das Heute. Das müssen wir leben.

Alles Gute für dich! lg tarsshaft
Das Heute leben, das Kommende erwarten, das Vergangene nutzen.
MarliJo

Re: Prägung

Beitrag von MarliJo »

Hallo tarsshaft !

Fange mal am Ende deiner Antwort an mich an.
tarsshaft hat geschrieben: Mir wurde nicht viel zugetraut, sondern viel zugemutet...also kindliche Kompetenz nicht,
aber Überforderung von klein auf...keinerlei Hilfe, als ich
klein war, keinerlei Hilfe als ich größer wurde, stattdessen musste ICH helfen, indem
ich mir den Sermon meiner Mutter anhörte.
Wenn ich das lese, dann frage ich mich, wie sehr Das dich geprägt haben mag und wenn ich es richtig sehe, ja nach wie vor belastet, da die Probleme deiner Mutter und deines Stiefvaters ja noch die alten sind ? Klar, man kann von Kindern Mithilfe beim Aufräumen des Zimmers erwarten oä. - aber Mithilfe beim Aufräumen des elterlichen Seelenlebens ? ...funktioniert eben nicht, gar nicht !
Diese nicht zugelassene kindliche Kompetenz (einfach Kind sein) ist ja sicher etwas, was Spuren hinterlässt,... und möglicherweise ist es so, das du das gern irgendwie nachholen würdest, aber merkst, dass du das nicht kannst, weil du ja erwachsen bist ?
Schade auch, dass dein Vater sich da lieber rausgehalten hat (um des lieben Friedens Willen mit deiner Mutter vermutlich), als es zum Beispiel darum ging, welches Studium/welchen Beruf du wählst, da ja auch hier dein Stiefvater dir einiges an eigener Entscheidunsmöglichkeit abgenommen hat, selbst wenn er es sicher gut gemeint hat.
Was hat die damals fehlende Begleitung deines Erwachsenenumfeldes an Prägung bei dir hinterlassen ? Wie sehr spielt es eine gute oder schlechte Rolle im Jetzt ?

Nein, es ist nicht die Frage, was du deiner "schiefen" Vergangenheit an Positivem abgewinnen kannst, meine Frage war, ob du daraus etwas umleiten/ableiten kannst und es für dich heute positiv nutzen kannst ?
Damit wären wir am ANfang deines Posts.
Natürlich läuft Prägung unbewusst ab und man kann sich ihr so gesehen nicht entziehen. Ich glaube, dass Prägung nicht nur in der Kindheit stattfindet, sondern das Leben hindurch - in manchen Phasen mehr, in manchen weniger. So nehme ich das jedenfalls bei mir wahr und auch bei Leuten um mich herum, die ich ganz gut kenne.
Manchmal vertieft sich eine früh angelegte Prägung auch einfach und verstärkt damit ein bestimmtes Verhaltensmuster. So bei mir im Zusammenhang mit meiner Mutter, die immer die "richtige" Route vorgegeben hat und meinen zunehmenden Widerstand erntete. Ähnlich verliefen die letzten Jahre meiner Beziehung mit meiner Ex-Lg.
und auch da war ich nicht immer einsichtig, was die Route anging.
Wie gesagt, prägen/anerziehe wollte meine Mutter sicher etwas anders, aber ich habe mich dem mehr oder weniger zu entziehen versucht und somit ihr (unbewusstes) Erziehungsbemühen/Prägen "umgeleitet". Das ist ebenso unbewusst verlaufen, aber es hat nicht nur etwas mit Grenzen austesten zu tun, sondern mit profilieren.
Nicht alles ist mir gut gelungen und hier und da wäre es auch angebracht gewesen, über Mamas Richtung wenigstens nachzudenken :rolleyes: . Aber,..das "nicht gern zulassen eigener Erfahrungen machen" seitens meiner Mutter hat genau das Gegenteil in meiner Persönlichkeit geprägt: ich will meine Erfahrungen selbst machen, auch wenn es seinen Preis hat.
Das meine ich mit Prägung "umleiten".
Ich weiß nicht, ob so etwas bei dir auch stattfand oder stattfinden soll - auch um von der Prägung deines Stiefvaters wegzukommen.
Wenn ein Teil dieser Kindheitsprägung bei dir heisst "funktionieren", dann ist das ja etwas, von dem du dich loslösen müsstest, damit es sich unbeschwerter für dich anfühlt, wenn du deinen Weg gehst. Klar, du kannst tun was du willst, ins Ausland ziehen und dir dort etwas mit deinem Freund aufbauen, schließlich bist du erwachsen und musst niemanden um Erlaubnis fragen. Aber,... kann das die "kleine" tarsshaft in dir auch, sich lösen von den Zwängen, die ihr damals auferlegt wurden ?
Wo harkts ?
Eigentlich kannst du weitergehen,unbefangen von allzuviel Prägung, glaube ich, du hast daoch schon so viel Strecke gemacht in den letzten Jahren ! =)

MarliJo
tarsshaft
Forumsprofi
Forumsprofi
Beiträge: 282
Registriert: 2. Juli 2007 15:26

Re: Prägung

Beitrag von tarsshaft »

Hallo MarliJo!

Ja, es stimmt: Die Probleme meiner Mutter und meines Stiefvaters sind noch die alten und sie werden es bleiben, solange die beiden leben. Es hat mich viele Jahre Aufarbeitung gekostet, bis ich kapiert habe, dass ich an diesem Zustand nichts ändern kann, weil es deren Leben und nicht meins ist, und es hat – gefühlt – noch mal genauso lang gedauert, bis ich dies auch akzeptiert habe. Heute – und darauf bin ich wirklich stolz – kann ich a) meine Mutter höflich, aber bestimmt „abblocken“, wenn sie wieder mit dem Lästern anfängt oder wahlweise b) es mir anhören, etwas objektiv-neutrales dazu sagen und ohne negative Gefühle zügig das Thema wechseln oder wahlweise c) nicht wirklich zuhören und wenn sie fertig ist, von etwas anderem reden. So bleiben ihre Probleme bei ihr und belasten mich nicht (mehr). Das ist ein sehr wichtiger Schritt gewesen für mich.

Ich kann heute sehr klar formulieren, wie der „seelische Missbrauch“ vonstatten ging bzw. was im Einzelnen dazugehört. So auch die mütterliche Liebe im Allgemeinen, die sehr abhängig war davon, wie meine Mutter gerade so drauf war. Bedingungslose Mutterliebe gab es bei ihr nicht. Oder die eingeforderte „Mithilfe beim Aufräumen des elterlichen Seelenlebens“, wie du es treffend ausdrückst, für die es dann auch Liebe und Aufmerksamkeit als „Belohnung“ gab.

Ja, natürlich würde ich gerne nachholen, was ich als Kind nicht hatte. Das „einfach Kind sein“, das Urvertrauen spüren, das mir sehr früh genommen wurde…mir fällt es heute sehr schwer, anderen zu vertrauen. Das hat mich sehr geprägt und hat Spuren hinterlassen. Es fällt mir schwer zu glauben, dass man mich „einfach so“ lieben kann. Als Kind habe ich schließlich gelernt, dass man erst mal etwas dafür tun muss. Langsam, ganz langsam kann ich glaub ich diese seelische Verletzung heilen lassen: indem ich Menschen, die in meinem Erwachsenenleben zu meinem Leben gestoßen sind und mir vertraut sind, ganz vorsichtig die Tür zu meinem Herzen öffne. Immer ein kleines Stück. Indem ich, auch wenn es mir Angst macht und weh tut, mir sage: Glaube daran, glaube, dass er/sie tut, was er/sie sagt. Und dann, wenn ich mich seelisch gesehen aufs Eis gewagt habe und es schon knacken höre, dann „beweisen“ sie mir, dass sie tatsächlich tun, was sie sagen. Das ist der Moment, in dem ich vom dünnen Eis aufs feste Land zurücktrete.

Meine Kindheit und Jugend sind geprägt von Angst, von Schuldgefühlen, von Misstrauen. Dazu gehört auch die fehlende Begleitung meines Erwachsenenumfeldes. An Prägung hat dies das genannte Misstrauen hinterlassen, auch sehr viel Unsicherheit im Umgang mit anderen (ich knabbere lange, wenn ich zum Beispiel im Job einen Fehler mache, kann Fehler ganz schlecht akzeptieren – auch bei anderen. Ich fühle mich sehr schnell zurückgesetzt, ungeliebt, nicht beachtet). Ich habe angefangen, diese Mechanismen immer häufiger zu durchschauen und dann mit einem bewusst erwachsenen Blick mir die Situation noch einmal anzuschauen. So löst sich vieles auf – das ist aber sehr schwer und klappt nicht immer. Etwas umleiten/ableiten für das Heute? Ja, ich möchte alles anderes machen und mit meinen Kindern, sollte ich je welche haben, anders umgehen als meine Mutter. Ich möchte überhaupt vieles anders machen als meine Mutter. Aber das tue ich bereits. Angefangen bei meiner Partnerwahl: Ich bin mit jemand zusammen, den ich liebe. Sie ist mit jemand zusammen, den sie nicht einmal anfassen will.

Die kleine tarsshaft kann sich dann lösen von den Zwängen, die ihr einst auferlegt wurden, indem die große tarsshaft weiterhin für sie da ist, zuhört und ihr immer wieder klar macht, dass sich die Rahmenbedingungen geändert haben: nur die Große bestimmt, was mit der Kleinen passieren darf und sonst keiner. Es gibt keinen Druck mehr. Und sie ist nie mehr allein. Es fällt oft schwer, ihr das klar zu machen. Aber hin und wieder klappt es gut. So werden wir weitermachen.

LG t
Das Heute leben, das Kommende erwarten, das Vergangene nutzen.
MarliJo

Re: Prägung

Beitrag von MarliJo »

liebe tarsshaft,

nun habe ich ein paar mal über die Zeilen deines letzten Posts nachgedacht, mich versucht, in deine damilige Lage als Kind hineinzuversetze,...doch wenn ich ehrlich bin, kann ich gelingt mir das nicht und ich kann mir (weil ich es selbst nicht erlebt habe) nicht vorstellen, wie das ist/war, nicht ! "einfach nur Kind sein" zu dürfen.
Einfach Kind sein, heisst ja zunächst, auszuleben, was einem als Kind in den Sinn kommt - erst in der Konsequenz erfährt /erlernt ein Kind die Grenzen. Einfach Kind sein beeinhaltet für mich auch, nicht IMMER funktionieren zu müssen und davon frei zu sein, Aufgaben zu erfüllen, die ein KInd altersgemäß nicht erfüllen kann und sollte.
Darin mag auch das Urvertrauen liegen, dass sich ein Kind kindlich geben und auch mal nicht funktionieren darf (welcher Erwachsene wünscht sich das nicht einmal zurück?!), und TROTZDEM geliebt wird - bedingungslos.
Ich stelle es mir schrecklich (prägend) vor, wie du das erleben und aushalten musstest,... und finde es umso schöner, wenn du deinen Weg suchst und findest, etwas wagst und auf Menschen triffst, die nicht dein "funktionieren" belohnen, sondern deinen Mut !
Du musst/kannst ganz sicher nicht alles ablegen, was dich damals mit geprägt hat, aber wenn es sich nicht mehr als Zwang anfühlt für die erwachsene tarsshaft, dann hast du schon den größten Teil deines Weges für Dich gemacht !

Danke für die wertvollen Zeilen an dieser Stelle, die trotz deiner nicht leichten (Scheidungkind)Vergangenheit, auch immer den Blick nach Vorn wagen !

MarliJo
Benutzeravatar
Ansa
Inventar
Inventar
Beiträge: 2601
Registriert: 14. August 2006 11:52

Re: Prägung

Beitrag von Ansa »

Guten Morgen Ihr Lieben

ich finde das ist ein ganz ganz spannendes Thema, aber beim Lesen bin ich an einem Punkt hängen geblieben, "werden unsere Kinder auch von Partnern geprägt, die sie sich nicht ausgesucht haben......." Das ist etwas, da sollten wir nicht drüber weg gehen - denn das ist etwas, dem Kinder immer ausgesetzt sind, immer - denn sie suchen sich auch ihre Eltern nicht aus, sondern sie müssen nehmen was kommt..... und immer werden Eltern auch an irgendeinem Punkt zweifeln und sich fragen "sag mal, von mir hat das Kind das nicht............also..........?" Das ist eine zweiseitige Geschichte, die uns immer wieder begegnet. Zumeist getragen von fehlendem Verständnis Kindern gegenüber, von so einer Einstellung "Du sollst tun was ich Dir sage" und "Kinder soll man sehen, aber nicht hören", und die gibt es heute noch zuhauf, leider.

Und, es ist soweit ich weiß, ein Irrglaube, das Kinder ihren Eltern immer ähnlich sind. Ich hab drei Töchter, meine Große ist mir sehr ähnlich, auch mir sagte man derartige "Dickköpfe" und blinde Überzeugungen nache, wie ich sie heute bei ihr erlebe..... ich hab ihr gegenüber einen wahnsinnigen Vorteil, ich kann nachempfinden wie sie sich fühlt, grade weil wir uns tatsächlich ähnlich sind.

Mein Mittelchen hingegen hat ungeheure soziale Kompetenzen, ist sich derer zunehmend bewusst und setzt sie ein, auch um sich persönliche Vorteile zu verschaffen. Sie reagiert manchmal derartig, das ich nicht ansatzweise nachvollziehen kann, worum es ihr geht. Sie ist mir manchmal einfach soooo fremd. Ich liebe sie, keine Frage - aber sie und ihr Verhalten sind mir unverständlich, manches Mal.

Und meine Jüngste ist eine Mischung aus beiden, mal mehr mal weniger..... aber sie entwickelt sich auch noch, ich beobachte das zur Zeit und stehe ihr zur Seite.

Und Papa? Ist seinen Kindern durch die Scheidung im Alltag ferner - sein Einfluss ist gering, seine Übung und sein Miteinander entwicklen, also das Wachsen der Eltern in pupertären Phasen und das Erlernen eigener Umgänge damit, ist da eher wenig ausgeprägt. Das heißt auch, seine Kinder fühlen sich von ihm unverstanden und oft übergriffig gemassregelt. Da geht einfach Nähe verloren.... weil der gelebte Alltag fehlt.

Und mein Liebster? Der meinen Kindern da ein liebevoller Alltagsvater ist und sein darf? Hat die große Fähigkeite Menschen so zu nehmen, wie sie sind und das tut allen Kindern gut. Klar, sie lernen mitunter Dinge, die sie sonst nicht gelernt hätten, sie müssen Eigenarten des Liebsten hinnehmen, weil er eben so ist, wie er ist und er muss das im Gegenzug ebenfalls tun. Das ist nicht immer einfach, für alle nicht.

Wenn nun schwierige Erwachsene und Unverständnis hinzu kommen, mag es durchaus Entwicklungen geben, an denen Kinder scheitern. Aber das ist doch eher selten der Fall? Kinder stecken, das weiß man heute, wenn ihr Umfeld ansonsten stimmt und jemand da ist, der sie stärkt und lieb hat, mehr weg, als wir oft glauben und sie sind in der Lage vieles zu verarbeiten, das allerdings darf kein Freibrief sein, für uns Große.



Liebe Tarshaft,

ich kann nachvollziehen, was Du schreibst, denn ich habe ähnliches erlebt - allerdings durch meinen eigenen Papa - ich war nie das Kind, was er sich wünschte - ich war unsportlich (und er früher ein richtiges Ass), ich war mies in Mathe - und hab mich für Dinge interessiert, die er überflüssig fand, meine 1 in Bio zum Beispiel war für ihn einfach nur überflüssig..... immer immer hab ich das Gefühl gehabt, so sein zu sollen, wie er es wollte und je mehr ich mich anstrengte, desto schwerer wurde es für mich.

Ich hab früh aufbegehrt und wurde dann körperlich und seelisch misshandelt, aber das soll hier keine Rolle spielen..... Erwachsene haben etwas, das Kinder vielfach nicht haben, ein Reflektionsvermögen und die Fähigkeit, sich in bestimmten Situationen zu hinterfragen. So richtig bewusst ist mir das in der insBettbringSituation bei meinen Kindern geworden. Ich hab nämlich all mein Leben lang geglaubt, eine gute Mutter bringt Abends ihre Kinder ins Bett, sitzt bei jedem einen Moment, erzählt etwas, liest eine Geschichte vor und dann geht sie und alle schlafen zufrieden und glücklich ein. Da gibt es keine Kinder die 8 mal aufstehen und dies und das undjenes wollen...... oder so.... jedenfalls funktionierte mein "eine gute Mutter bringt......" nicht und ich hab mich echt mies gefühlt..... irgendwann sagte eine liebe alte Freundin, der ich das erklärte, zu mir "Warum tust DU das?" Und dann fuhr sie fort "frag Dich mal, für wen tust Du das?" Und ich stellte fest, ich tat es für einen Glauben - aber nicht für mich. Seitdem kommen meine Kinder und sagen mir "gute Nacht" und unser Familienleben hat sich da total verändert. Kein Stress, kein "jetzt ist aber Ruhe...." sondern jetzt gehen alle zufrieden schlafen.

Also, wir lernen ein Leben lang und je mehr wir lernen, desto beweglicher bleiben wir, sprich, wir können uns auch noch verändern wenn wir 80 sind, wenn wir es wollen und zwar für uns. Von daher ist die Erkenntnis, das etwas nicht so ist, wie ich es gern hätte, der wichtigste Schritt, denn wenn ich erkannt habe, das ich gar nicht glücklich bin, wenn ich hektisch bin, dann kann ich mein Verhalten verändern, langsam und in klitzkleinen Schrittchen, so wie es mir beliebt und ich erkenne mehr und mehr, wenn ich wieder abrutsche in das "alte" Verhalten.... das braucht am Ende nur eines. Geduld mit Dir selbst und Zeit....

Liebe Grüße
Ansa
Sei zärtlich mit den Kindern, mitfühlend mit den Alten, nimm Anteil an denen, die sich anstrengen, sei sanftmütig mit den Schwachen und geduldig mit den Starken; denn eines Tages wirst Du dies alles gewesen sein. (nach C.W. Carver)
tarsshaft
Forumsprofi
Forumsprofi
Beiträge: 282
Registriert: 2. Juli 2007 15:26

Re: Prägung

Beitrag von tarsshaft »

Hallo Ihr Lieben!

Ich habe viel nachgedacht über das Thema und auch eure Zeilen sehr aufmerksam gelesen (danke auch noch an MarliJo und Ansa für die neusten Antworten! Es tat sehr gut, sie zu lesen). Ich komme zu dem Schluss, dass meine Situation als Kind schwierig war, weil meine Mutter (und auch mein Vater) sehr bald nach meiner Geburt und der meines Bruders überfordert damit waren, Eltern zu sein. Vielleicht hätten sie es geschafft, wenn sie sich nicht getrennt und sich gemeinsam durchgebissen hätten. Vielleicht wäre es auch trotz Zusammenbleiben schwer geblieben. Vor allem für meine Mutter, also diejenige, die zu Hause war und uns Kinder vorwiegend erzog. Vielleicht wäre sie auch ohne Scheidung die geblieben, die sie eben war: stets sehr ängstlich, etwas falsch zu machen (einschließlich in der Kindererziehung), sehr auf „funktionieren“ und „nicht auffallen“ getrimmt, permanent überfordert und deshalb sehr reizbar und oft unpassend aggressiv und streng.

Ich komme deshalb zu diesem Schluss, weil mir ein Erlebnis eingefallen ist, das ich sehr beispielhaft für die gesamte Situation finde. Ich bin 8 oder 9 Jahre alt. Es ist Papa-Wochenende. Papa besucht mit meinem Bruder und mir eine Bekannte, die Kinder in unserem Alter hat. Wir spielen und toben zusammen und springen dabei auch begeistert durch dreckige Schlammpfützen. Ich bin total glücklich, ganz Kind, und stolz, weil ich Mama nach diesem Wochenende erzählen kann, dass wir bei Papa ganz toll gespielt haben und gar nicht – wie so oft – traurig waren, weil wir immer nur Mama ODER Papa haben konnten. Ich war stolz und glücklich, dass ich das hinbekommen und so toll gespielt hatte. Ich erzählte also nach der Rückkehr Mama davon, sie sah mich verärgert an und sagte, auf die Schlamm verspritzte Hose deutend: „Ja, ja, deine Mutter ist ja die Blöde, die das dann wieder alles waschen kann!“ Jetzt war ich traurig.

Ich habe das so in Erinnerung. Es gibt viele weitere Erinnerungen, in denen mich meine Mutter in einer ähnlichen derart abfälligen und gereizten Art behandelte, dass ich meiner Erinnerung kaum Glauben schenken mag. UM GOTTES WILLEN!!, schreit die erwachsene tarsshaft in mir. Wie kann man bloß…!!??

Ich schüttle den Kopf. Ich denke: Ja, das wiegt schwer, mit so etwas leben zu müssen. Und ich meine damit meine Mutter. „Mit so etwas“, mit so einer absoluten Unfähigkeit, das eigene Kind als Kind anzunehmen und es als solches zu lieben. Leben müssen mit der Gewissheit, das eigene Kind tief verletzt zu haben. Diesen Schmerz schleppt sie bis heute mit sich herum, weil sie nicht verarbeitet, sondern immer und immer wieder wegdrückt. Diese Unfähigkeit ist Teil ihres Charakters. Mag sein, sie wusste es eben nicht besser, mag sein, sie konnte aufgrund eigener Prägung nicht anders. Wie auch immer. Die Scheidung hat dieses Verhalten jedenfalls nicht ausgelöst. Gebessert hat sie es aber auch nicht.

Zweifrauen oder -männer haben, wenn sie möchten, die Chance, wichtige Menschen im Leben eines Scheidungskindes zu werden. Wenn sie das Kind Kind sein lassen und als solches wahrnehmen, wird sich das Kind ihnen immer dankbar anvertrauen.

Bis bald, lg tarsshaft
Das Heute leben, das Kommende erwarten, das Vergangene nutzen.
Antworten