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Girl-Soccer
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Beiträge: 441
Registriert: 11. Januar 2008 21:46

Verarbeiten und neu einrichten

Beitrag von Girl-Soccer »

Hey

Eigentlich hat es wohl nicht sehr viel mit meinem Scheidungskind-sein zu tun, aber ich weiß nicht, wohin soll.
Wobei... es hat ja auch mit den zerrütteten Verhältnissen zu tun, in denen ich lebe.

Wer schon einiges von mir gelesen hat, der weiß, worum es geht.
Wer nicht, liest den kommenden Abschnitt.

Ich bin Scheidungskind seit einigen Jahren und bin eindeutig drüber weg.
Und eigentlich ist ab dann ja auch alles sehr einfach, weil man sich eingerichtet hat
und normalerweise nicht so schnell wieder Veränderungen eintreten.
Doch meine Eltern machen es da einem nicht so einfach.
Hin und her, wer hat Geld, wer hat kein Geld, wer kriegt Geld, wer kriegt wie viel Geld,
wer ist der Böse, Krankheiten, ja schon fast wer ist kränker, Arbeit, Arbeit, Arbeit.
Plötzlich kommt dann mein Vater regelmäßig zu uns zum Essen, dann bleibt er plötzlich wieder weg und und und.
Gut, innerlich war die Sache für mich schon lange abgeschlossen.
Und mit den äußerliches täglichen Sprüngen, lernte ich gerade, umzugehen...
als ich mich aufmachte, zu meinem zumindest bis jetzt größtem Abenteuer überhaupt.
Ich machte mich auf, zu einem halben Jahr in Kanada, mit Gastfamilie in Highschool.
Ich machte mich auf, in ein völlig neues Leben.
Alles war anders.
Ich hatte meine Hochs und ich hatte meine Tiefs.
Alles war so anders, dass ich zeitweise das Gefühl hatte, gar nichts mehr sicher zu wissen.
Ich baute mir dort ein Leben auf und richtete mich immer weiter ein.
Ich war dort zu Hause, es gefiel mir, ich lernte sehr viel neues und alles schien auf mich zu passen.
Die Leute waren viel mehr mein Fall, als die aus meiner alten Umgebung,
die Schule war super, sogar die Luft schien mir atmenswerter.
Ich hatte keine einzige Sekunde Heimweh.
Wenn ich hätte dort bleiben können, ich hätte es ohne zu zögern getan.
Doch Ende Juni musste ich wieder zurück, was nicht vorstellbar war.
Ich konnte das Flugzeug nur im Versprechen mir selbst gegenüber betreten,
dass ich zurückkehren würde, irgendwann, so schnell wie möglich.
Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie bitter ich jetzt schon wieder weine.
Ja, nun war ich dann eben wieder in meiner alten Umgebung und wurde absolut ins kalte Wasser geschmissen,
mit den ganzen schwierigen Umständen, mit denen ich mal umgehen konnte,
wobei ich eigentlich schon wusste, was auf mich zu kommen würde.

Ich kann damit nicht mehr umgehen.
In Kanada war ich glücklich, hier war ich es nie und bin es immer noch nicht,
auch wenn ich wohl seit einigen Jahren stetig auf dem Weg dorthin bin
und wohl auch nicht mehr viel fehlt.
Ich komme mit der Familiensituation nicht klar.
Andauernd habe ich melodisch den Satz "Ich hasse euch, ich hasse euch!" im Kopf,
auch wenn es wohl so nicht stimmt.
Ich hasse wohl eher das Verhalten.
Wenn ich von meinem Vater oder von meinem Bruder spreche, sage ich "der Junge",
wenn ich von meiner Mutter spreche, sage ich "das Mädel".
Oder ich spreche sie direkt so an und sage "Oh Junge!" bzw. "Oh Mädel!"
Ja, ich habe das Gefühl, sie benehmen sich wie Kinder. Tun sie auch, irgendwie.
Sie stressen sich grundlos, sie regen sich über belanglose Dinge auf, sie spielen sich auf,
sie sind realitätsfern und haben nur sich selbst im Kopf, sie denken, sie seien eine Insel.
Und das Mädel denkt, sie versteht mich, wenn ich wegen Kanada trauere.
Witzig.
Ja, alle, die im Ausland waren, finden die Rückkehr schwierig.
Aber alle anderen hatten auch irgendwann mal Heimweh und haben sich irgendwie auch wieder auf Zuhause gefreut.
Ich nicht.
Klingt hart, ist aber so, ich wünschte, es wäre nicht so.
Ich habe in Kanada gemerkt, wie haltlos ich bin. Und prompt dort Halt gefunden.
Ich habe in Kanada kaum Verantwortung tragen müssen. Und natürlich gewöhnt man sich daran.
Hier... habe ich das Gefühl, ich muss für die gesamte Mannschaft die halbe Verantwortung übernehmen.
("So! Und jetzt bist du still und du bist auch still! Mutter, Bruder hat in dem und dem Punkt Recht.
Bruder, das gibt dir nicht das Recht, dich so aufzuführen. Mutter, du arbeitest jetzt weiter und
Bruder, du räumst das jetzt stillschweigend weg! Und Ruhe jetzt!" Ja, so was gab's schon mal.)
Das macht mich nicht glücklich.
Zudem kann ich mich in Gegenwart meiner Mutter nicht entspannen, ich bin nicht relaxed, nicht gelassen.
Genau das konnte ich aber in Kanada sehr gut. Beziehungsweise, ich habe es dort erlernt und genossen.
Wie ich wieder in der alten Umgebung bin, merke ich, wie es weg ist.
Dann war ich diesen Sommer eine Woche weg und habe mich dort darauf konzentriert, wieder gelassen zu werden.
Am vierten Tag war ich es. Und man hat es auch gemerkt. Dann kam meine Mutter mich abholen
und keine zehn Minuten nach ihrer Ankunft war ich innerlich wieder total angespannt.
Und angepisst.

Wenn ich das Geld zusammen bekomme, werde ich die kommendes Frühjahr zwei Wochen mit einem guten Freund
in Québec verbringen. Und wenn es klappt und ich das Geld habe, werde ich dort auch in zwei Jahren studieren.
Bis dahin mache ich mein Abitur, an einer neuen Schule, ab dem 13. September.
Damit ich dabei beste Chancen habe, ziehe ich nicht aus.

Ich scheine das Positive aus Québec nicht behalten gekonnt zu haben, bzw. nicht ausleben zu können,
was mich zutiefst deprimiert.

Seit dem ich wieder hier bin, bin ich psychisch ziemlich instabil und halte selbst kleine Belastungen,
wie z.B. etwas Höhenangst im Klettergarten nicht aus.

Ich kann gar nicht kurz zusammenfassen, was los ist oder was ich mir (hiermit) erhoffe.
Also belasse ich es dabei.

Es tat gut, mal wieder so etwas geschrieben zu haben, auch wenn ich jetzt mal wieder unter Tränen stehe.

Liebe Grüße von Girl-Soccer, die jetzt besser schlafen gehen sollte.
rita
Schnelltipper
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Beiträge: 111
Registriert: 7. Juni 2007 15:47

Re: Verarbeiten und neu einrichten

Beitrag von rita »

Hallo, Girl-Soccer,

ich kann Dich ein wenig verstehen, was das Verhältnis zu Deiner Mutter anbelangt. Ich hab heute morgen auch wieder an meine "Kleine" gedacht und ob das alles so richtig war.....wie wird sich das bei ihr auswirken....warum haben wir ein Verhältnis wie Feuer und Wasser....ist das so??? Ich weiß es nicht und auch wenn wir zusammen sind, ist es eher beklemmend als entspannend. Ich kann nicht mal sagen, warum das so ist und ich fühle mich dann immer in einer Erwartungshaltung, und ich weiß nicht, in welcher bzw. warum. Leider läßt sich die Zeit nicht zurückdrehen, wo man Vieles anders machen könnte, also muß man das Leben so nehmen, wie es ist.

Ich denke, Du bist auch wieder, vor und nach Kanada, in einer Rolle, aus der Du Dich nicht freistrampeln kannst.

Ich kann Dir nur raten, arbeite auf Dein Abitur hin.....Du hast das Ziel, in Quebec zu studieren....darauf kannst Du Dich freuen...frei von scheinbar zu viel Verantwortung, die Du Dir, denke ich, aber zum Teil auch selbst auferlegst. Deine Mutter ist eine erwachsene Frau, steht im Arbeitsleben und sollte für sich selbst sorgen können. Je mehr Du ihr abnimmst, umso mehr läßt sie es auch auf Deinen Schultern. Wir beide hatten das Thema schon einmal, aber scheinbar hat sich bzgl. Deiner Mutter nichts geändert.

Du hast nun ein Leben kennengelernt, das Du später leben möchtest. Du hast viele Hobbies, Dein Abi steht vor der Tür. Dies ist eine wichtige Zeit, in der Du Dein Leben in die Bahnen lenkst, wie Du es haben möchtest. Du wirst älter und löst Dich auch innerlich von Deinen Eltern. Das, was Du vermißt.....die Sorge um Dich, die Aufmerksamkeit, das Abnehmen von Verantwortung....ich denke, das wirst Du auch weiterhin nicht von Deinen Eltern bekommen, denn sie können auch nicht aus ihrer Haut. Ich sag Dir das mal so unverblümt, weil es mir genauso geht.
Ich male mir aus, wie ich meine Tochter umarme, ihr mal über die Wange streichele....und beim Zusammentreffen? Ein Hallo, mehr nicht. Wenns gut läuft, gibts mal ein Küßchen auf den Mund. Sie sagt mir aber nicht, was sie vermißt. Sagst Du das Deiner Mutter ? Jeder hat eine Erwartungshaltung von uns und keiner erfüllt scheinbar die andere. Spreche ich sie drauf an, ist immer alles in Ordnung.
Warst Du, als die Ehe Deiner Eltern noch in Ordnung war, ihr Prinzeßchen? Meine Tochter war es auch immer und ich denke, sie hat damit ein Problem, daß sie nicht mehr bei mir wohnt und ich ihr die von damals gewohnte Aufmerksamkeit nicht mehr schenke. Dein Vater hat nun eine neue Familie und es hat sich einiges geändert....Du bist älter geworden. Bist Du vielleicht irgendwann stehen geblieben und vergißt, dass die Zeit weitergegangen ist und Deine Eltern Dich nicht mehr als ihr kleines Mädchen betrachten, Du aber noch so oder ähnlich behandelt werden möchtest ?

Ich denke, das was Du suchst, wirst Du später bei einem Freund finden, der Dir Nähe und Aufmerksamkeit gibt und bei dem Du Dich geborgen und angekommen fühlen kannst. Geh Deinen Weg, mach Dein Abi, studiere in Quebec....aber die Zeit wirst Du nicht mehr zurückdrehen können. Denk daran, daß Du bald eine tolle Zeit in Kanada haben wirst und freu Dich darauf !!!!!!

LG, Rita

P.S.: und es ist nicht schlimm, wenn Du zuläßt, auch mal schwach zu sein....das ist jeder von uns im Leben mal.....setz Dich doch nicht selbst so unter Druck.....heute hälst Du die Höhe nicht aus...dann lass es zu, das es eben so ist, bei nächsten Mal ist es wieder anders ! Du MUSST Nicht IMMER stark sein !! Das ist nicht authentisch und wäre auch nicht normal. Geh in Dein Zimmer, weine ein wenig, schreib ein wenig, so wie gestern, und bald sieht es wieder anders aus. Wenn Du Dir selbst die Zeit und das Gefühl, auch mal schwach sein zu DÜRFEN, nicht gibst, wirst Du innerlich versteinern und für Dich selbst nicht mehr ereichbar sein.
tarsshaft
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Re: Verarbeiten und neu einrichten

Beitrag von tarsshaft »

Hallo Girl-Soccer!

deine geschichte hat mich sehr angesprochen, weil ich sie so ähnlich selbst erlebt habe...also glaube mir, wenn ich dir sage, dass ich weiß, wie du dich fühlst...ich möchte dir ein bisschen was von meiner geschichte erzählen in der hoffnung, das sie dich trösten und dir kraft geben kann...was du fühlst, ist glaube ich der verlust dessen, was du glaubst, schon immer gesucht und dann auch gefunden zu haben...angekommen sein und sich angenommen fühlen...so sein dürfen, wie man ist...das konntest du in kanada, richtig?...das kannst du nicht in stuttgart (witzig, auch ich habe diese jahre damals in stuttgart verbracht...)

ich war 16 (wie alt bist du?) und ging für knapp 2 monate zu einer amerikanischen gastfamilie in los angeles...es war wunderbar, weil ich endlich teenager sein konnte...keine mutter, deren gemotze ich mir ständig anhören musste, kein stiefvater, der mir mit seiner art das leben schwer machte, kein bruder, der mich immer alleine ließ mit allen häuslichen problemen, kein vater, der sich immer bei mir ausheulte wegen der scheidung...ich war einfach nur ich, ein 16 jahre alter teenager, neugierig aufs leben und immer noch kindlich-verletzlich im innern...ich wurde innerhalb kürzester zeit teil der familie...die mutter behandelte mich wie eine 4. tochter, der vater sagte, ich sei die 4. tochter...ich ging zur schule, verabredete mich mit freunden, wurde ermahnt, nicht zu viel popcorn vor dem abendessen zu essen und bevor ich zum schwimmen mit den anderen ging, fragte die mutter fürsorglich, ob ich denn auch ein handtuch eingepackt hätte....ich wurde umsorgt, geliebt, altergerecht behandelt...das schönste, was passierte, war ein satz meines gastvaters. er sagte: sie ist ein typischer teenager. war ich glücklich! genau das wollte ich sein: typisch, ohne all diese schwere von zuhause...einfach nur ich selbst. altersgemäß. nach meiner rückkehr nach deutschland hasste ich die bekannte situation noch mehr, wollte nichts anderes außer zurück...ich habe meine gastfamilie nie wiedergesehen...vor einiger zeit haben wir über ein soziales netzwerk im internet sogar wieder kontakt aufgenommen...ich habe festgestellt, dass es nicht mehr so ist wie damals...wir kinder sind erwachsen geworden...haben uns sehr unterschiedlich entwickelt und führen völlig verschiedene leben, so dass wir keine berührungspunkte mehr haben...ob es anders gekommen wäre, wenn ich damals zurückgekehrt wäre? ich glaube kaum, da jeder von uns so ist wie er ist...was du kannst, was du liebst, wie viel schmerz du aushältst, das ist in dir...manchmal hast du die möglichkeit, dies an den äußeren umständen auszuprobieren: sprich: wie gut hältst du die scheidungssituation bei dir zuhause aus? wie gut findest du deinen weg...dein erlebnis in kanada hat dir eine lebenswichtige erkenntnis gebracht: du weißt, was du willst...du konntest zu dir selbst finden, dich kennenlernen, ohne dabei abgelenkt zu sein von den umständen, die dich bislang immer belastet und dir einen entsprechenden zugang zu dir verwehrt haben...das erlebnis kanada bringt dich dem kern deiner persönlichkeit ein großes stück näher...das ist etwas sehr wertvolles, das viele menschen niemals bekommen...meine mutter und mein stiefvater haben es z.b. nicht bekommen...wir schon...lass dich stärken von dieser erfahrung!...und geh deinen weg weiter, das schaffst du, girl-soccer, auch wenn es im moment sehr weh tut...du hast so viel erreicht, so viel mehr als die erwachsenen in deinem umfeld...ein gutes rüstzeug für ein gutes leben...alles gute, tarsshaft (heute 36 jahre und nicht mehr in stuttgart lebend) ,)
Das Heute leben, das Kommende erwarten, das Vergangene nutzen.
Girl-Soccer
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Registriert: 11. Januar 2008 21:46

Re: Verarbeiten und neu einrichten

Beitrag von Girl-Soccer »

Hey

Okay, ich hab mich einigermaßen beruhigt.

Ja tarsshaft, deine Geschichte ist wirklich sehr ähnlich. Ich hoffe jedoch stark, die Leute von dort wieder zu sehen,
anders könnte ich wohl gar nicht leben.
Ich bin 17.

Es ist gerade etwas einfacher, weil es sich ein Stück weiter eingespielt hat.
Ich schaffe es, meinem Vater gegenüber einfach reserviert zu sein, ob es ihm gefällt oder nicht,
er muss in der Lage sein, sich selber was zu trinken einzuschenken und sich ein Glas zu nehmen.
Okay ich muss zugeben, er ist nicht dazu in der Lage, er verschüttet fast immer was
und dann bin ich in jedem Fall diejenige, die es aufwischt.
Und ich bin sowieso immer diejenige, die er anspricht, wenn er irgendwas braucht oder will.
Es sind ja schließlich die Frauen, die sich in seinem veraltetem frauenfeindlichen Weltbild im Haushalt auskennen
und die Ex kann man ja schlecht fragen. Also fragt man die Tochter, die eh nicht nein sagen darf.
Und wenn sie's tut, dann fühlt er sich wie ein hilfloses Kind.
Soll ich ihn darauf mal ansprechen?

Zur Zeit ist es so, dass wir alle drei sehr viel zu tun haben und ich muss im Haushalt sehr viel machen,
woran ich mich immer mehr gewöhne, ich weiß nur nicht, wie das laufen soll,
wenn mein Bruder ausgezogen ist und ich ab Montag wieder Schule habe...

Mein Bruder ist zur Zeit ein Engel.
Warum muss er damit anfangen, kurz bevor er auszieht?! -.-

Was sich nicht verändert hat, ist, dass ich mich zu Hause nicht entspannen kann und schlecht schlafe.

Ich warte auf den Schulanfang.

Liebe Grüße von Girl-Soccer, die sich jetzt noch einer Weile Mathe widmen sollte.
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