Früher war es ein Schmerz – heute ist es ein „Danke“

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tarsshaft
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Früher war es ein Schmerz – heute ist es ein „Danke“

Beitrag von tarsshaft »

Hallo zusammen!

Ich möchte kurz ein Erlebnis erzählen, das ich am vergangenen Sonntag hatte. Und das mich bewegt.

Ich hatte zusammen mit meinem Bruder unseren Papa besucht. Am nächsten Tag - dem Sonntag - wollten wir anschließend unsere Oma im Altersheim besuchen. Unser Papa bot uns an, uns mit dem Auto hinzufahren. Von ihm zu Hause ist es ungefähr eine Stunde Fahrt. Er hatte immer ein gutes Verhältnis zu unserer Oma, die die Mutter unserer Mutter ist, und wollte sie gerne mit uns zusammen besuchen. Wir Geschwister hatten uns für Sonntag mit unserer Mama bei Oma verabredet. Das wusste auch Papa. Also trafen wir uns alle bei Oma.

Ich fühlte mich wie in einer anderen Welt. Wie zurückversetzt in jene Welt, die ich damals mit 8 Jahren verlassen musste. Die Welt, in der ich bis zur Scheidung meiner Eltern gelebt hatte. Am letzten Sonntag hatte ich sie für ein paar Minuten wieder.

Wir saßen alle im Zimmer unserer Oma, plauderten eine Weile und gingen schließlich zusammen spazieren. Wir Kinder hatten unsere Oma untergehakt, hinter uns liefen Mama und Papa und unterhielten sich. Wir spazierten durch die Altstadt und besuchten den dortigen Dom. Im Inneren gingen wir langsam durch die Kirche, meine Mutter und mein Vater nebeneinander und mein Bruder und ich mit unserer Oma.

Ich betrachtete meine Familie. Es war ein wunderschöner Moment für mich. Alle waren sie da. Meine geliebte Mama, mein geliebter Papa, mein geliebter Bruder, meine geliebte Oma. Niemand fehlte und niemand störte dieses Bild. Das war ein Moment, der für mich etwas unendlich Kostbares ist und bleiben wird.

Es war in diesem Augenblick unwichtig, dass es sich nur um ein paar Minuten handeln würde. Es war unwichtig, dass es „eigentlich“ nicht die Realität widerspiegelte. Denn ich wusste die ganze Zeit, dass wir uns nach dem Kirchenbesuch wieder trennen würden. Und jeder würde wieder seiner Wege gehen. Aber dieser eine Augenblick gehörte uns.

Es geht mir nicht darum, mir selbst wieder die Illusion einer heilen Familie vorzustellen. So hätte ich das sicher noch bis vor kurzem gemacht. Es geht mir darum, diesen einen Augenblick mit ganzem Herzen genießen zu können. Zu wissen: Ich habe eine Mama, einen Papa, einen Bruder und eine Oma, und ich liebe sie alle von ganzem Herzen.

Dafür habe ich in der Kirche „Danke“ gesagt, eine Kerze angezündet und bin dann mit den anderen nach draußen und zurück in meine Realität gegangen.

Dann habe ich noch mal „Danke“ gesagt. Dafür, dass ich all das erleben durfte und keinen Schmerz mehr empfand, sondern Dankbarkeit.

Dieses Erlebnis wollte ich mit euch teilen. Viele Grüße, tarsshaft
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Ansa
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Re: Früher war es ein Schmerz – heute ist es ein „Danke“

Beitrag von Ansa »

Liebe Tarshaft,

Dein Post berührt mich sehr und ich möchte Dir danken, das Du diesne Moment mit uns teilst.

Soviel Zeit ist vergangen, soviele Tränen sich geweint, so viele Wünsche nicht wahr geworden und doch, ist das Leben einfach weiter gegangen, anders als erhofft und doch, auf seine eigene Weise vielleicht gut so wie es ist und noch viel schöner, das Du es so wahr nehmen konntest. Das ist wirklich ein Grund zur Freude, finde ich.... und auch für ein "Danke".

Liebe Grüße
Niana
Sei zärtlich mit den Kindern, mitfühlend mit den Alten, nimm Anteil an denen, die sich anstrengen, sei sanftmütig mit den Schwachen und geduldig mit den Starken; denn eines Tages wirst Du dies alles gewesen sein. (nach C.W. Carver)
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Sternenfischer
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Re: Früher war es ein Schmerz – heute ist es ein „Danke“

Beitrag von Sternenfischer »

Liebe tarsshaft,

ich bin unendlich gerührt über deinen Post und merke gerade, wie ich einen dicken Kloß im Halse habe.

Ich freue mich sehr für dich, dass du diesen schönen Augenblick erleben durftest -
und ich wünsche mir, es würde mehr solcher Augenblicke geben können für Scheidungskinder.

Schön, dass du dieses tiefe Glücksgefühl mit uns geteilt hast. Danke hierfür.

Dir alles Liebe,

Sternenfischer
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tarsshaft
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Re: Früher war es ein Schmerz – heute ist es ein „Danke“

Beitrag von tarsshaft »

Hallo ihr zwei!

Vielen lieben Dank für eure herzlichen Worte! Das hat mich sehr gefreut!

Ich hatte auch einen Kloß im Hals, als ich die Geschichte aufgeschrieben habe. Es war ein Gefühl aus Dankbarkeit und einem bisschen Wehmut. Doch die Wehmut lässt sich nur erahnen - und ich merke, dass ich vorangekommen bin.

Bis bald, liebe Grüße, tarsshaft
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MarliJo

Re: Früher war es ein Schmerz – heute ist es ein „Danke“

Beitrag von MarliJo »

Hallo tarsshaft !

Du hast so viele Schritte tun müssen, um an diesen Punkt zu kommen und dein Erlebniss so empfinden zu können, wie du es empfunden hast.
Es freut mich sehr, dass du keinen Schmerz, sondern Dank gespürt hast in dieser Situation.
Das hast du geschafft !

Viele Grüße an dich
MarliJo
tarsshaft
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Re: Früher war es ein Schmerz – heute ist es ein „Danke“

Beitrag von tarsshaft »

Hallo MarliJo!

Danke dir!

Hab mich gefreut, was von dir zu lesen.

Viele Grüße, tarsshaft
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shahri
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Re: Früher war es ein Schmerz – heute ist es ein „Danke“

Beitrag von shahri »

Hallo tarsshaft,

war seit einer kleinen Ewigkeit nicht mehr im Forum, als ich nun aber deine kleine Geschichte gelesen habe, hatte ich einen ganz schönen Kloß im Hals.. Vielen Dank daß du uns an deiner wirklich rührigen Geschichte hast dran teilhaben lassen. Einfach den Gesichtspunkt eines Kindes geschiedener Eheleute zu sehen...

Auch bei meinem Sohn (bald 14) merke ich immer wieder wie gerne er Frieden zwischen seinen Eltern hätte.
Er ist seit Anfang letzten Jahres von einem Tag auf den anderen zu seinem Papa gezogen, da ers mal "ausprobieren" wollte. Ich "mußte" ihn ziehen lassen und mittlerweile akzeptiere ich es, schließlich liebe ich keinen anderen Menschen so wie ich mein eigenes Kind liebe..

Es dauert auch noch nach 8 Jahren Trennung immer noch mit einigen Querelen die wir Erwachsene immer noch miteinander haben, manchmal frage ich mich ob ich meinem Sohn diese seltenen Momente so wie du sie nun erlebt hast, irgendwann friedvoll schenken kann.. Ich hoffe es inständig..

Du hast Recht: Ein Kind hat Mama und Papa und wenn es Glück hat noch Geschwister und andere nahen Verwandten..

Vielen Dank nochmals für deine liebevolle "Berichterstattung"....
tarsshaft
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Re: Früher war es ein Schmerz – heute ist es ein „Danke“

Beitrag von tarsshaft »

Hallo shahri!

Danke auch dir für deine lieben Zeilen!

Bei dir und euch sind es also 8 Jahre, dein Sohn ist heute 14. Weißt du, bei mir und uns sind es über 25 Jahre. Ich war damals 8 Jahre, mein Bruder war 6. Ich habe über 25 Jahre gebraucht, um in einer für ein Kind so beklemmenden Situation wie der von mir beschriebenen eine Dankbarkeit spüren zu können.

Bis vor kurzem hätte mich eine solche Situation vollkommen aus der Bahn geworfen. Dann hätte mein inneres Kind das Zepter in die Hand genommen und ich hätte nicht nur einen Kloß im Hals gespürt, sondern tiefste Verzweiflung.

Mit Hilfe dieses Forums habe ich mein inneres Kind gefunden. Es hatte sich am letzten Sonntag auch kurz gemeldet. Ich habe ihm erklärt, dass alles in Ordnung ist. Es hat sich dann beruhigt wieder zurückgezogen.

Ich will dir mit meinen Gedanken eines auf den Weg geben: Es ist für ein Scheidungskind möglich, den Schmerz zu überwinden. Aber das ist ein Prozess, der individuell lange dauert und der individuell gelebt wird. Jedes Scheidungskind erlebt die Trennung seiner Eltern auf seine ganz persönliche Weise und geht auf seine ganz persönliche Weise damit um. Als Mutter kannst du dein Kind auf diesem Weg begleiten. Das ist wichtig und gut. Aber letztlich überwinden muss dein Sohn den Schmerz ohne dich, denn dieser Schmerz – genau wie alle anderen Gefühle, die dein Sohn erlebt – dieser Schmerz gehört zu ihm und nicht zu dir. Du kannst nicht für ihn fühlen. Das tut weh, ich weiß. Das ist dein Anteil, den du aushalten musst.

Ich schreibe dir hier so detailliert über eigene und nicht-eigene Anteile bzw. Gefühle, weil genau das für mich so lange ein wesentlicher Punkt in der Verarbeitung war. Erst als ich verstanden habe, welche Gefühle wahrlich meine eigenen sind und welche nicht bzw. welche Verantwortlichkeiten damit verbunden sind, habe ich angefangen, den Schmerz zu verändern. Meine Mutter leidet bis heute unter einem Schuldkomplex gegenüber uns Kindern. Jahrelang habe ich darunter gelitten und versucht, für meine Mutter dieses Problem zu lösen. Das ging immer schief und ich lief immer im Kreis.

Deshalb ist es so wesentlich, genau das zu erkennen: Die Trennung der Eltern ist ein Schmerz. Und jeder, dem ein Schmerz gehört, muss ihn allein ertragen und seinen eigenen Weg hinaus finden.

Sei für deinen Sohn da. Und geh dabei deinen Weg. Der Rest liegt dann an ihm.

Viele Grüße, tarsshaft
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Gerda
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Re: Früher war es ein Schmerz – heute ist es ein „Danke“

Beitrag von Gerda »

Liebe Tarsshaft und alle, die hier einen Kloß im Hals haben,

ich bin ebenfalls sehr berührt von der Schilderung des Familientreffens. Ich habe auch einmal etwas ÄHnliches erlebt, wo ich so viel Dankbarkeit empfand und wo ich wußte, dass es ein ganz kostbarer Augenblick ist, der vieles trägt.

Zu dem Kloß im Hals möchte ich sagen, dass es sich für mich so anfühlt, als seid Ihr alle berührt und als sei auch die eigene Taurigkeit angerührt darüber, dass es solche Begegnungen nicht oder nur so selten gibt. Und das IST auch traurig.

Liebe Grüße von
Gerda
"Unser wahres Zuhause ist der gegenwärtige Augenblick. Wenn wir wirklich im gegenwärtigen Augenblick leben, verschwinden unsere Sorgen und Nöte, und wir entdecken das Leben mit all seinen Wundern.“

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